Domkapitular Franz Vogelgesang im Gespräch über die Kundschafterreisen

Das Bistum Speyer unternimmt in den Jahren 2016 und 2017 vier so genannte „Kundschafterreisen“. Sie führen nach England, Nicaragua, Südafrika und auf die Philippinen. Das Ziel der ein- bis zweiwöchigen Reisen unter dem Motto „Lernen von der Weltkirche“ besteht darin, die seelsorgliche Arbeit in anderen Ländern kennenzulernen und Anregungen für die Kirchenentwicklung im Bistum Speyer zu erhalten. Die Reisegruppen setzen sich aus ehren- und hauptamtlichen Teilnehmern aus den neuen Pfarreien zusammen. Zu seinen Erwartungen im Blick auf die Kundschafterreisen sowie seinen Erfahrungen auf der Kundschafterreise nach Nicaragua äußert sich Domkapitular Franz Vogelgesang, Leiter der Hauptabteilung Seelsorge des Bischöflichen Ordinariats.

Herr Domkapitular Vogelgesang, was erwarten Sie sich von den Reisen?

Ich erwarte mir viel. Ich habe die Hoffnung, dass durch das Erleben der Kirche in einem anderen Land ein Funke überspringt. All das, was diese Kirchen an Freude, Begeisterung und Glaubenskraft, aber auch an Strategien die jeweiligen Schwierigkeiten und Herausforderungen zu meistern, hervorbringen, kann uns Mut geben und auf Ideen bringen. Auf allen vier Reisen wird ganz Verschiedenes zu erfahren sein, aber – und da bin ich mir jetzt schon sicher – wir werden auch viel Gemeinsames und Verbindendes erleben. Ich sage gern: es gibt einen großen gemeinsamen Strom in der Weltkirche, auch über die katholische Kirche hinaus. Den zu entdecken ist unendlich bereichernd. Ich erhoffe mir, dass wir sehen werden, dass der Weg, der mit „Gemeindepastoral 2015“ in unserem Bistum beschritten ist und die weltkirchlichen Erfahrungen ganz eng zusammen gehören.

Wie setzen sich die Reisegruppen zusammen?

Wir hatten unsere Reisen im Bistumsgebiet ausgeschrieben. Es haben sich mehr Menschen beworben als wir mitnehmen konnten. So haben wir eine Auswahl treffen müssen. Am Ende sind es pro Reise zwei Personen (einer davon aus dem Allgemeinen Geistlichen Rat) als Reiseleiter und dann bei den Reisen nach Nicaragua, Südafrika und Großbritannien jeweils drei Zweier-Teams, die sich aus Haupt- und Ehrenamtlichen zusammensetzen. Auf die Philippinen reist eine größere Gruppe, insgesamt sind es 14 Personen. Dass der Bischof hier mit dabei ist, freut mich ganz besonders. Wichtig war uns, dass es Teams aus Haupt- und Ehrenamtlichen sind. Damit ist schon eine wichtige Erkenntnis und Option von „Gemeindepastoral 2015“ verbunden: es geht immer nur im Miteinander von Haupt- und Ehrenamt!

Nach welchen Kriterien wurden die Ziele ausgewählt?

Durch verschiedene Begegnungen in den Vorjahren aus unterschiedlichen Anlässen, haben sich die einzelnen Zielländer schnell herauskristallisiert. Wir wollten weltweite Erfahrungen einsammeln, möglichst von allen Kontinenten, gemäß unserer leitenden Perspektive „weltweite Kirche“. Wir haben Ortskirchen ausgesucht, bei denen etwas exemplarisch zu lernen und es möglich ist, mit theologischen Instituten bzw. kirchlichen Institutionen und Menschen die theologische Reflexion schon vor Ort zu beginnen. Alle vier Reisen wurden so schon mit unseren Partnern vor Ort vorbereitet. Diese stehen uns auch im jeweiligen Land zur Verfügung.

Kundschafter werden ausgeschickt, um zum Beispiel gangbare Wege zu suchen. Wonach haben die Speyerer "Kundschafter“ in Nicaragua gesucht?

Wir haben zunächst nicht gesucht, sondern „uns finden lassen“, natürlich auch mit unseren Zielen! Es ging zuerst um eine Wahrnehmung der Wege, die die Kirche in Nicaragua geht. Unser Begleiter José Argüello (Leiter des pastoraltheologischen Institutes Teyocoyani) hat uns verschiedene pastorale Ansätze gezeigt, die auch in Nicaragua zu entdecken sind. Von unseren Zielen her gedacht, waren es Themen wie: wie funktionieren große Pfarreien (Normalgröße 50.000 Katholiken)? Welche Art von Leitungsstrukturen hat die Kirche vor Ort gefunden? Welche Formen der Partizipation gibt es? Welche Aufgaben und Rollen übernehmen die Pfarrer, die Laien? Wie geschieht Ausbildung, mit welchen Schwerpunkten? Wie wird der Glaube mit dem Leben verbunden? All diese Fragen sind auch unsere Fragen und wir waren gespannt, wie sie beantwortet wurden.

Was hat die Gruppe, was haben Sie, mit Blick auf unser Konzept Gemeindepastoral 2015 in Nicaragua als besonders wertvoll und für uns hilfreich erlebt?

Der pastorale Ansatz ist immer die Bildung und Ausbildung der Laien, die vom genannten Institut Teyocoyani als auch anderen Institutionen (geistliche Bewegungen oder aus Mexico stammend SINE = Sistema Integral de la Nueva Evangelisacion) betrieben wird. Diese Ausbildung der Laien (wir würden Ehrenamtliche sagen) ist erstklassig. Sie geschieht zwar mit einfachen Mitteln, ist aber äußerst effektiv. Es ist eine ganzheitliche „Formation“: spirituell, intellektuell, politisch. Wir haben im Glauben sprachfähige Menschen kennengelernt, die uns tief beeindruckt haben. Sowohl Teyocoyani als auch die anderen genannten gehen sehr strukturiert vor. Vernetzung und Koordination bis „nach oben“ ist entscheidend und wird beeindruckend gelebt. Alle Beteiligten sind irgendwie von einem Leitwort erfasst, das sich die Diözese jedes Jahr neu gibt und buchstabieren es bis in die kleinsten Einheiten durch.

Für mich das wesentlichste Moment ist, dass kleine christliche Gemeinschaften (pequeñas comunidades) entstehen, die von kompetenten Leitern/Leiterinnen geführt und geformt werden. In diesen Gemeinschaften lebt jeder und jede, der/die sich in einem bestimmten Bereich in der Pfarrei, in der Gemeinde engagiert. Dort wird Glauben und Leben in Verbindung gebracht. Dort lebt die Kirche aus dem Wort Gottes, dort wird die Lebendigkeit des Glaubens für den Einzelnen greifbar. Dort ist Kirche nah für alle (!) Menschen in der Nachbarschaft. Dort entstehen Initiativen, die die kleine und große Welt zum Besseren hin verändern. Nichts anderes meinen wir, wenn wir von sozialraumorientierter Pastoral sprechen.

Vereinzelt gibt es Kritik an den Kosten der Reisen. Wie werden die Reisen finanziert? Wäre es nicht naheliegender gewesen, Kundschafterziele in der Nachbarschaft auszuwählen – beispielsweise in Frankreich?

Die Reisen werden vom Bistum finanziert: die Hauptamtlichen leisten einen Eigenbeitrag, die Ehrenamtlichen bringen ihre (Urlaubs)Zeit ein. Das Teuerste sind die Flüge, die Kosten innerhalb des Landes halten sich sehr in Grenzen. Wir würden es uns nicht so viel kosten lassen, wenn wir nicht erwarten würden, dass der Nutzen groß ist. Natürlich auch für die Mitreisenden, aber zu allererst für das Gesamt der Diözese (siehe auch Frage 8). Nach meiner Sicht der Dinge sind die Erfahrungen in Europa einfach noch nicht so gereift wie in den Ländern des sog. globalen Südens. Für Europa war auch Frankreich eine Option. Doch wir haben uns in diesem Kontext für die Aufbrüche der anglikanischen Kirche auch unter ökumenischer Perspektive entschieden, weil wir uns mit den sog. „fresh expressions of church“ noch einmal etwas mehr Innovatives und Aufbrechendes erhoffen. Hier gibt es auch schon „kontinentale“ deutschsprachige Ableger, mit denen wir in Kontakt sind und möglicherweise synergetisch zusammen arbeiten können.

Bei der zurückliegenden Vollversammlung des Katholikenrates wurde angeregt, auch die Erfahrungen der im Bistum Speyer tätigen ausländischen Priester „abzufragen“...

Diesen Impuls haben wir aufgenommen. Von der Personalabteilung wird in Kooperation mit uns zur Zeit das Gespräch mit den Priester aus dem Ausland geführt und deren Erfahrungen in den gesamten Prozess eingespeist. Dies geschieht unter anderem beim großen Pastoraltag im November 2017.

Wie werden die Ergebnisse gesichert und fruchtbar gemacht? Wie sollen sie in die Konzepte von Gemeindepastoral 2015 einfließen?

Bei den Reisen selbst findet jeden Abend eine geistliche Reflexionsrunde statt, die schon Erkenntnisse reifen lässt. Wir reisen immer mit offenen Augen und der Frage, was könnte davon für uns im Bistum Speyer fruchtbar gemacht werden, und wie? Wenn alle Reisenden von ihren Reisen zurück sind, werden diese Fragen im Mittelpunkt eines großen Treffens aller Kundschafter/innen stehen.

Für alle Pfarreien offen, aber ganz besonders für die Pfarreien, die Kundschafter/innen auf den Weg geschickt hatten, gibt es von der Hauptabteilung Seelsorge das Angebot „Summerschool – Gemeindepastoral 2015 und die Entwicklung der Kirche vor Ort“ Ende September 2017. Dieser Kurs wird die Erfahrungen der Kundschafter aufgreifen und für die jeweilige Pfarrei entwickeln. Mein Wunsch ist es, dass die Summerschool jedes Jahr stattfindet und zum Grundbestand in unserem Fortbildungskalender wird.

Im November 2017 wird es einen großen Pastoraltag für alle Hauptamtlichen geben, an dem auch die mitgereisten Ehrenamtlichen teilnehmen können. Im Moment überlegen wir in einer kleinen AG, welche Vorschläge wir unterbreiten wollen, um sowohl die Erfahrungen mit anderen (Ehrenamtliche in den Pfarreien, Katholikenrat, Priesterrat und Pastoralrat) zu teilen als auch weitere Konsequenzen bedenken zu können. Die Nachfolgeveranstaltung der sog. Foren im September 2017 wird dafür ein wichtiger Meilenstein sein. Das Thema Partizipation ist uns sehr wichtig und muss gerade hier ein wichtiges Element unseres weiteren Weges sein.

 

Interview: Der Pilger