Pfarreien im Stadium der Metamorphose
Bernhard Spielberg und Antonia Lelle stellten im November 2021 Ergebnisse der Evaluation zu „Gemeindepastoral 2015“ vor – Rund 750 Aktive aus den Pfarreien hatten sich an Befragung im Frühjahr 2021 beteiligt
Wo stehen die Pfarreien im Bistum Speyer sechs Jahre nach der Pfarreireform „Gemeindepastoral 2015“ und der Einführung des Seelsorgekonzepts „Der Geist ist es, der lebendig macht“? Antworten darauf gab eine Veranstaltung mit Professor Bernhard Spielberg und Antonia Lelle vom Lehrstuhl für Pastoraltheologie der Universität Freiburg und des Zentrums für angewandte Pastoral (ZAP). Sie haben im Frühjahr dieses Jahres rund 750 Aktive aus den Pfarreien befragt, davon rund 625 ehrenamtliche und 125 hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Die Ergebnisse geben interessante, teils aufrüttelnde Einblicke. Seit dem Einschnitt im Jahr 2015 haben die Pfarreien vor allem ihre liturgischen und katechetischen Angebote intensiviert. Durch zentrale Feiern wurde das Gottesdienstangebot vielerorts reduziert. Gleichzeitig wurden einige neue und originelle Initiativen gestartet, zum Beispiel Alphakurse, Segensfeiern für Verliebte, nächtliche Kirchentouren oder Tiergottesdienste.
Auffällig war in den Rückmeldungen die häufige Nennung negativer Emotionen, von Kirchenverdruss und Anonymität bis zum Verlust von Nähe und persönlicher Zuwendung. Das Team der Universität Freiburg und des ZAP hatte dazu deutende Bilder zusammengestellt. Da war zum Beispiel von der „Notgemeinschaft in einem Zugabteil“, einer „Ansammlung von Inseln“, einer „Bauruine“ und einem „Schiff ohne Steuermann“ die Rede, aber auch von einer „Weinstube“ und einer „großen Familie“. „Diese Bilder zeigen die tiefe Krise, in der sich die Kirche und die Pfarreien aktuell befinden“, erläuterte Antonia Lelle. Die Pfarrei werde häufig als institutionell vorgegebene Organisationseinheit gesehen, in der unterschiedliche Gemeinden „Qualverwandtschaften“ eingehen müssen. „Dabei droht ihnen der Verlust der bisherigen Identität, ohne dass eine neue sichtbar wäre.“
Aus Sicht der Aktiven waren vor allem der neue Zuschnitt der Pfarreien und die Zusammenarbeit in den neuen Pastoralteams maßgeblich für die Veränderungen. Dem Seelsorgekonzept des Bistums schreiben sie eine nachrangige Bedeutung zu, mit Ausnahme des Kapitels zu den Standards in der Seelsorge. Das pastorale Konzept der Pfarrei betrachten weniger als zehn Prozent der Befragten als Gewinn, noch weniger das Immobilienkonzept. Der Ansatz der „ermöglichenden Leitung“ war nur etwa einem Viertel der Befragten aus der Praxis heraus vertraut.
Ebenfalls im Blick: die neu eingerichteten Regionalverwaltungen. Die Erfahrungen in der Zusammenarbeit haben viele Aktive als „durchwachsen“ geschildert. Ganz oben auf der Wunschliste: klarere Zuständigkeiten, kompetentes, nicht überlastetes Personal und eine stärkere Dienstleistungsorientierung. Die Einrichtung der zentralen Pfarrbüros wurde von der Mehrheit als sinnvoll eingeschätzt.
Spielberg: „Sicherheit einsetzen, damit andere Unsicherheit aushalten können“
Bernhard Spielberg verglich die aktuellen Umbrüche mit der Metamorphose einer Raupe zum Schmetterling. „Aus den toten Zellen der Raupe werden die inneren Organe des Schmetterlings gebildet“, machte Spielberg Mut zu einem Kulturwandel in der Kirche. Er ermutigte die rund 65 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Videokonferenz, das immer noch hohe Maß an Sicherheit in der Kirche dafür einzusetzen, dass Aktive an vielen Orten Wagnisse eingehen und Unsicherheit aushalten können. „So wie der Seiltänzer, der ein gut gespanntes Seil braucht, das an den Enden fest verankert ist.“ Wichtiger als Strukturen abzusichern sei es, sich die Frage zu stellen „Wozu sind wir als Kirche gut?“, attraktive Bilder von Kirche zu entwickeln und vitale Orte christlichen Lebens zu fördern. Kirchenentwicklung brauche kreative Räume, um Neues auszuprobieren. „Dafür ist eine bürokratische Mentalität eher hinderlich. Kirche war immer auch heilige Anarchie“, so Spielberg.
Präsentation der Ergebnisse und der weiteführenden Thesen (als Video-Mitschnitt)
Präsentation der Ergebnisse und der weiterführenden Thesen (als pdf-Datei)