Montag, 04. Juli 2016
Großmutter wird mit der Sense rasiert
Erdbeerfest im Altenzentrum holt Menschen aus der Demenz
Schifferstadt. Die Stimmung im Garten des Caritas-Altenzentrums St. Matthias in Schifferstadt ist gut, fast schon ausgelassen, es wird ja auch Erdbeerfest gefeiert. Mit allem Drum und Dran, mit Musik, Erdbeerkuchen und Erdbeerbowle. Dennoch ist dieses Fest kein ganz alltägliches Sommerfest, denn die Bewohner, die im hübsch geschmückten Pavillon an der Kaffeetafel Platz genommen haben, kommen von der Demenzstation.
Dietmar Schöffel greift zur Gitarre und stimmt das erste Lied an: „Im Märzen der Bauer“. Schon fallen die ersten Bewohner mit ein. Einige singen leise vor sich hin, andere aus vollem Hals. Simone Joder, Mitarbeiterin der Sozialbetreuung, schmunzelt und erklärt: „Manche singen leidenschaftlich gern, leidenschaftlich laut und leidenschaftlich falsch.“ Das macht gar nichts, im Gegenteil, die gute Laune steckt an. Einige fangen an, im Takt mit zu klatschen und nach dem Lied gibt es Bravo-Rufe. Simone Joder nutzt eine Pause, möchte ein Erdbeergedicht vorlesen, beginnt mit den Worten: „Darf ich ein paar Worte sagen?“ „Ja was soll ich da schon sagen“, antwortet spontan ein Bewohner. „Mir tun die Füße weh“, murmelt eine andere. „Hallo!“ sagt die nächste zum x-ten Mal. Die ganze Situation mutet vielleicht ein bisschen schrullig an, aber was vor allem hängen bleibt, ist das Gefühl, dass es den Bewohnern jetzt im Augenblick gut geht.
Nach ein paar weiteren Liedern sagt eine Bewohnerin: „Jetzt wär ein Kaffee recht“. Also wird der Erdbeerkuchen aufgetragen. „Ist er schön? Ah ja, mit einem Schuss Sahne“, murmelt sie anerkennend. „Meine Tante liebt das Essen hier im Heim und das, obwohl sie früher ganz schön schnäkisch war“, sagt die Nichte der Bewohnerin, die zum Fest gekommen ist. Heute schmeckt es allen. Simone Joder, Iris Müller und Martina Heil haben alle im Blick, füllen Kaffeetassen ein zweites Mal, bringen Kuchen für die, die gerne ein zweites Stück hätten, reichen den Bewohnern, die nicht mehr allein essen können, geduldig den Kuchen an, erinnern andere, die vergessen haben, dass da ein Kuchen vor ihnen steht und drücken ihnen die Gabel in die Hand. Später gibt es noch ein oder zwei Gläser Erdbeerbowle. Einige Bewohner haben mitgeholfen die Früchte zu schneiden. „Es ist alkoholfreier Sekt“, verrät Simon Joder leise.
Dietmar Schöffel hat die Gitarre zur Seite gestellt und macht eine kurze Pause, essen und singen gleichzeitig geht schließlich nicht. Er kommt jede Woche ehrenamtlich ins Altenzentrum und singt mit den Senioren. In der Regel hat er da auch seinen Hund Buddy mit dabei. Die Bewohner lieben das, singen mit ihm und stellen schon Leckerlis für Buddy bereit. Der Hund ist heute zu Hause geblieben. „Es ist so schön, wenn man alte Volkslieder singen kann und die Texte sind den Bewohnern wohl bekannt. Manche kennen wirklich jedes Lied“, sagt Schöffel.
Bald ist er wieder gefragt. Weiter geht’s mit Liedern. Manchmal entwickeln die Bewohner eine Eigendynamik. Bei „Freut Euch des Lebens“, stimmt erst eine die „Großmutter wird mit der Sense rasiert“-Version an. Das kennen auch die Herren, fallen mit ein und schon hat der stattliche Chor Dietmar Schöffel übertönt. Simone Joder und ihre Kolleginnen sind mittendrin im Geschehen, nehmen immer wieder mal einen der Bewohner herzlich in den Arm, schunkeln zum Takt der Lieder oder halten ihnen eine Zeit lang die Hand.
Nach eineinhalb Stunden Singen und Feiern fangen die ersten Bewohner langsam an zu gähnen, bekommen einen verschleierten Blick. Sie haben lange durchgehalten. „Viele sind nachmittags müde, dösen vor sich hin, aber heute war davon nichts zu merken“, sagt Simon Joder. Es sind eben oft die Dinge, die Außenstehenden gerade nicht auffallen, die Aktionen, wie das Erdbeerfest, in den Bewohnern bewirken. Da ist zum Beispiel der Mann, der sonst teilnahmslos mit leerem Blick vor sich hindämmert und eine halbe Ewigkeit zum Essen braucht. Heute blinzelt er viel. „Ich sehe, dass da was in seinem Kopf abläuft“, sagt Simone Joder. Und die zwei großen Stücke Erdbeerkuchen und die Bowle, die sie ihm reicht, sind im Nu aufgegessen. Oder der Mann, der sonst ständig wissen möchte, wie spät es ist. Heute interessiert ihn das nicht. Oder sein Sitznachbar der nie mitsingt, wenn im Wohnbereich gesungen wird. Heute fällt er leise mit in den Chor ein.
Text / Foto: Christine Kraus