Dienstag, 05. April 2016
Gottesdienst hinter Gefängnismauern

Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann bei der Predigt in der Kapelle der Justizvollzugsanstalt Frankenthal
Bischof Karl-Heinz Wiesemann feierte Gottesdienst mit Männern, die in der Justizvollzugsanstalt Frankenthal eine Haftstrafe verbüßen
Frankenthal. Gottesdienst in einer Haftanstalt: Im Vorfeld bedeutet das erst mal etwas Schreibarbeit. Anfragen, Genehmigung abwarten, Namen mitteilen. Dann geht es los, früh am Morgen, über die B9 von Speyer nach Frankenthal, vorbei an Feldern, aus denen der Morgennebel aufsteigt.
Die Fahrt führt durch ein Wohngebiet mit Ein- und Mehrfamilienhäusern, mit gepflegten Vorgärten und Menschen, die in der Bäckerei um die Ecke ihre Frühstücksbrötchen holen. Da liegt sie mit einem Mal vor uns: die Justizvollzugsanstalt Frankenthal, eine fremde Welt, abgeschottet durch meterhohe Betonmauern. Wir geben unsere Pässe ab, das schwere Eisentor öffnet sich. Es geht durch Treppenhäuser und lange Gänge. Immer wieder ist das metallische Rasseln der Schlüssel zu hören. Türen auf, Türen zu, dazwischen das Hallen der Schritte auf dem grauen, harten Steinboden.
Schließlich die Kapelle, ein flacher, quadratischer Raum mit Holzstühlen und einem schlichten Metallkreuz. Und zum ersten Mal etwas Farbe: Blumen schmücken den Altar, seitwärts eine Osterkerze, mit mehreren Farben reich verziert. Die Musikgruppe probt bereits für den Gottesdienst, elf Männer, junge und alte, in einfacher Anstaltskleidung, die meisten mit weißen Baumwollhosen und blauen Sweatshirts - ganz ähnlich den Farben des Bistumslogos, denke ich.
Bei der Begrüßung weist Gefängnisseelsorger Manfred Heitz die Gottesdienstbesucher darauf hin, dass heute der Sonntag der Barmherzigkeit gefeiert wird. Das Evangelium berichtet davon, wie Thomas durch die Begegnung mit dem auferstandenen Jesus vom Zweifel zum Glauben kommt. Zur Predigt stellt sich Bischof Karl-Heinz Wiesemann mit Mitra und Bischofsstab in die Mitte des Raumes. Er spricht eindringlich und anschaulich zu den Männern. Mit einfachen, klaren Worten knüpft er eine Verbindung zwischen dem Schriftwort und ihrem Leben. Er spricht von den Jüngern, die hinter verschlossenen Türen saßen. Von den Mauern, die wir selbst errichten. Und von Jesus, der seine Wunden nicht verschließt, sondern aufmacht und sie zeigt. „Gott ist ein Freund des Lebens. Seine Liebe überwindet alle Grenzen“, spricht er den Gefangenen Mut zu. Manche von ihnen wurden als Kinder getauft, sind zu Kommunion und Firmung gegangen. An irgendeinem Punkt ist ihr Leben aus der richtigen Spur geraten. Jetzt hören sie die Worte des Bischofs, manche müde und versteinert, andere mit wachem Blick und aufmerksamen Augen.
Auch die Leiterin der Anstalt feiert den Gottesdienst mit. Ein starkes Zeichen in einer Umgebung, die ansonsten von Unterscheidung und Abgrenzung bestimmt ist. Ein Zeichen, das sagt: Vor Gott sind alle Menschen Brüder und Schwestern.
„Ich bin im Knast ein freierer Mensch geworden“
Das Schlusslied ist gesungen, weiter geht es im Raum nebenan, gemeinsames Frühstück der Gefangenen mit dem Bischof, Raum für Gespräche und Begegnung. Andreas mit seinen schwarzen Stoppelhaaren und einem breitem Pfälzer Dialekt (Namen der Gefangenen sind geändert) räumt ein, dass der Gottesdienst anfangs nur eine Möglichkeit darstellte, aus der Zelle rauszukommen. „Aber inzwischen macht es mir Freude. Man macht etwas gemeinsam. Das ist mehr, als ich erwartet hatte.“
Sascha, der aus Norddeutschland stammt, war früher Ministrant: „Der Gottesdienst gibt mir innere Zufriedenheit.“ Das Schlimmste an der Haft ist für ihn, von seiner zehnjährigen Tochter getrennt zu sein, ihr beim Schlafengehen kein Buch vorlesen und keinen Kuss auf die Stirn drücken zu können.
Für Walter mit der schräg sitzenden Brille hat sich in den vier Jahren seiner Haft die Welt der Bücher geöffnet: „Ich habe mich durch das Lesen von meinen eigenen Mauern befreien können, auch durch die Therapie und durch Kontemplation. Es mag widersprüchlich klingen: Aber ich bin im Knast ein freierer Mensch geworden.“
Nach einem zweiten Gottesdienst führt uns ein Aufseher zurück durch Gänge und Schleusen, wiederum rasselnde Schlüssel, hallende Schritte. Das schwere Eisentor öffnet sich, da weicht ein Gefühl der Bedrückung von der Seele. Aufatmen. Der blaue Himmel, das Grün der Bäume, das Zwitschern der Vögel, das alle wirkt verändert.
Kirche stellt Verbindung zum Leben draußen dar
Fast scheint es, als leuchte die befreiende Botschaft des Evangeliums im Knast ein wenig heller. Christliche Grundbegriffe wie „Schuld“ und „Vergebung“ haben in dieser Umgebung einen anderen Klang. Wenn im Gefängnis Fürbitte gehalten wird für „Menschen hinter den Türen der Angst, der Einsamkeit und der Resignation“, ahnt man: Das ist keine fromme Floskel, sondern eine von vielen geteilte und erlittene Erfahrung. Wer in dieser Welt der Zellen und der Gitter, der farblosen Gänge und der verschlossenen Türen ankommt, muss vieles hinter sich lassen. Familie und Freunde, Arbeit und Wohnung, Freizeit und Hobbies verschwinden hinter den hohen Anstaltsmauern. Umso tröstlicher, dass Kirche, Gottesdienst und Seelsorge weiterhin eine Verbindung zum Leben draußen darstellen. Die Texte, die in der Justizvollzugsanstalt Sonntag für Sonntag gebetet, die Lieder, die hier gesungen werden: Es sind dieselben Gebete, die auch im Dorfgottesdienst irgendwo im Pfälzer Wald gesprochen werden, dieselben Lieder, die auch im feierlichen Pontifikalamt im Speyerer Dom erklingen.
Keine Frage: Ein Gottesdienst in der Justizvollzugsanstalt ist eine besondere Erfahrung. Eine Erfahrung einer besonderen Art von Kirche an einem besonderen Ort. Nachmittags beim Spaziergang durch die frühlingshafte Landschaft gehen die Gedanken immer wieder zu den Männern in Frankenthal. Die frische Luft, die Farben des beginnenden Sommers, in der Ferne der Blick auf die Gipfel der Haardt, das wirkt an diesem Nachmittag alles viel intensiver.
Text und Foto: is