Donnerstag, 27. März 2025

„Symbole der Versöhnung und der Hoffnung“

Ein Gruppenfoto der der Delegation aus Speyer, unter anderem mit Bischof Philippe Christory, Bischof Wiesemann und Ordinariatsdirektorin Lambrich.

Bischof Philippe Christory (rechts von Bischof Wiesemann) empfängt die Delegation aus dem Bistum Speyer. 

Ein Reisebericht zur Wallfahrt nach Chartres

Speyer/Chartres. 19 Priester und zwei Diakone Diakone begaben sich kürzlich, gemeinsam mit Ordinariatsdirektorin Christine Lambrich und Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann, auf Wallfahrt nach Chartres. Pfarrer Thomas Ott begleitete die Delegation und dokumentierte die Reise:

Wir wurden freundlich von Bischof Philippe Christory und seinem Generalvikar empfangen. Die Führung durch die Krypta der Kathedrale, die in diesem Jahr ihr 1000 jähriges Jubiläum feiert, war verbunden mit Gebet für unseren Bischof und für einander. Der Rektor der Kathedrale von Chartres, Emmanuel, lud uns zu einer geistlichen Wallfahrt ein: so durften wir über folgende Fragen nachdenken:

  • Welche Gnade möchte ich von Gott erbitten?
  • Wofür bin ich dankbar?
  • Im welchen Bereich meines Lebens möchte ich umkehren?

Von der Nordseite, der Schattenseite der Kathedrale ging es nach Süden, dem Licht entgegen. Am jahrhundertealten Taufstein erneuerten wir unser Taufversprechen, um anschließend bewusst durch die Heilige Pforte ins Hauptschiff der Kathedrale zu gelangen. Stolz wurde uns der Schleier Mariens präsentiert, der in einer Seitenkapelle verehrt wird. Dieser erinnere daran, dass Maria „Ja“ zum Ruf Gottes gesagt hat. Den Abschluss des Vormittages bildete die gemeinsame Feier der Heiligen Messe in deutscher und französischer Sprache in der Apsis zusammen mit Bischof Karl-Heinz und Bischof Philippe Christory.

Wir durften eine dreieinhalbstündige Führung durch die Schatzkammer und die Kathedrale genießen, und haben viel über die Figuren am Süd- und Nordportal erfahren, über die Fenster, die die Theologie des 12. Jahrhunderts widerspiegeln. Nach dem Abendgebet und Abendessen erzählte Bischof Philippe über die pastorale Situation seiner Diözese. So gehöre die Kathedrale dem Staat, der für die Renovierung aufkomme, wobei die Betriebskosten das Bistum trage. Erstaunt hat, dass die Stadt Chartres keinen Euro Zuschuss für die Kathedrale gewährt, obwohl sie das Wahrzeichen der Stadt sei und jährlich circa anderthalb Millionen Besucher anziehe. Ohne die Kathedrale, deren Türme man in bis zu 30 km Entfernung sehe, wäre die überregionale Bedeutung der Stadt nicht gegeben. Es gäbe überraschend viele erwachsene Taufbewerber, die vom christlichen Glauben gehört haben und sich bewusst für ein Leben mit Gott entschieden hätten. Bischof Dr. Wiesemann übersetzte in beide Richtungen, sodass wir auch unsere Fragen stellen konnten.

Tag 2: Notre-Dame

Am zweiten Tag unserer Reise besuchtem wir Paris. Zielstrebig steuerten wir Notre-Dame an, die im letzten Dezember wiedereröffnet worden ist. Der helle Stein und die leuchtenden Fenstern begeisterten die Menschenmassen, die sich langsam durch die Kathedrale drängten. In einem großen goldenen Schrein wird die Dornenkrone Christie verehrt. Gemeinsam mit Bischof Philippe und Bischof Karl-Heinz feiern wir die 12:00 Uhr-Mittagsmesse, an der zahlreiche Touristen teilnahmen.

Nach dem Mittagessen und der Führung durch das Theologenseminar College des bernardins führte uns Bischof Philippe durch Paris und zeigte sehenswerte Kirchen, wie beispielsweise St. Étienne du Mont und St. Suplice. Den Höhepunkt des Nachmittags bildete der Besuch von Sacré-Cœur de Montmare mit der fantastischen Aussicht über die Stadt und Zeit zur stillen Anbetung und für die gesungene französische Vesper.

Tag 3: Stacheldrahtseminar

Am dritten Tag unserer Reise standen bedeutende historische Orte der Diözese von Chartres im Mittelpunkt. Unser erster Halt führte uns in das kleine Dorf Loigny-la-Bataille, das etwa 20 Kilometer nordwestlich von Orléans liegt. Hier ereignete sich am 2. Dezember 1870 während des Deutsch-Französischen Krieges die Schlacht bei Loigny und Poupry. Trotz zahlenmäßiger Überlegenheit der französischen Truppen gelang es den deutschen Kräften, einen mühsamen Sieg zu erringen.

Das "Musée de la Guerre de 1870" erzählt die heute oft vergessene Geschichte dieses Krieges auf außergewöhnliche Weise. Die Sammlung, die bereits kurz nach Kriegsende angelegt wurde, umfasst zahlreiche historische Gegenstände und Fotografien. Dank des Engagements der Pfarrer von Loigny und des Vereins "Les Amis des Sonis-Loigny" wurde die Sammlung über die Jahre hinweg stetig erweitert. Das Museum verfolgt zwei wesentliche Ziele: die Bewahrung der historischen Ereignisse sowie die Vermittlung der Entwicklung vom Krieg über die deutsch-französische Versöhnung bis hin zur europäischen Einigung.

Nach der Besichtigung des Museums feierten wir die Heilige Messe in der angrenzenden Kirche Saint-Lucain – mit einem besonderen Gebetsanliegen für den Frieden in Europa. Die Kirche beeindruckte durch ihre außergewöhnliche Ausstattung: Deutsche und französische Fahnen schmückten den Innenraum, und Wandfresken erinnerten an die Schlacht von 1870. Diese Gestaltung diente als mahnende Erinnerung an die Schrecken des Krieges und die Notwendigkeit der Versöhnung. Im Anschluss begaben wir uns zu Fuß auf das ehemalige Schlachtfeld und besuchten das Denkmal "Kreuz von Sonis". Dies ist der Ort, an dem der französische General Gaston de Sonis während der Schlacht schwer verwundet wurde, jedoch wie durch ein Wunder überlebte.

Nach einem gemeinsamen Mittagessen und einem ausführlichen Gespräch mit Bischof Philippe über seine Diözese und seine christlichen Überzeugungen besuchten wir das "Séminaire de Barbelés" – das sogenannte "Stacheldrahtseminar" bei Chartres. Dieses katholische Priesterseminar existierte von 1945 bis 1947 in französischen Kriegsgefangenenlagern. Es wurde auf Initiative der französischen Regierung und mit Unterstützung des Apostolischen Nuntius in Frankreich, Angelo Giuseppe Roncalli – dem späteren Papst Johannes XXIII. – gegründet. Ziel war es, deutschsprachige Priester und Seminaristen trotz ihrer Kriegsgefangenschaft auszubilden und sie auf ihre spätere Verantwortung in Deutschland vorzubereiten. Darüber hinaus sollten sie in demokratischen Werten unterrichtet und von der Ideologie des Nationalsozialismus distanziert werden.

Das Seminar wurde von Abbé Franz Stock geleitet, der trotz seiner angegriffenen Gesundheit diese herausfordernde Aufgabe übernahm. Die Universität Freiburg im Breisgau unterstützte das Projekt und übernahm die Patenschaft. Insgesamt fanden 949 deutsche und österreichische Geistliche und Theologiestudenten hier eine geistliche und akademische Heimat. Nuntius Roncalli besuchte das Seminar mehrfach und bezeichnete es als Zeichen der Verständigung und Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland. Nach seiner Schließung am 5. Juni 1947 verließen die letzten 369 Seminaristen das Lager, und Franz Stock kehrte nach Paris zurück. 1948 würdigte der spätere Papst Johannes XXIII. sein Wirken mit den Worten: "Abbé Franz Stock – das ist kein Name, das ist ein Programm."

Zum Abschluss unseres Tages besuchten wir das Grab von Franz Stock und beteten dort gemeinsam die Vesper. Dieser Besuch war ein bewegender Moment der Erinnerung an einen Mann, der sich unermüdlich für Frieden, Verständigung und eine christliche Zukunft Europas eingesetzt hat.

Unsere Reise verdeutlichte eindrucksvoll, wie tief die Geschichte mit unserer Gegenwart und Zukunft verknüpft ist. Die besuchten Orte waren nicht nur Zeugen vergangener Konflikte, sondern auch Symbole der Versöhnung und der Hoffnung auf ein friedliches Miteinander.

Text/Fotos: Thomas Ott