Donnerstag, 29. August 2024
Freude am Leben, Freude am Glauben, Freude am Zusammensein

Bereisten gemeinsam Ruanda – Katharina Kiesel, Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann und Kerstin Fleischer (v.l.n.r.) © Bistum Speyer
Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann reiste mit einer Delegation nach Cyangugu in Ruanda – 40 Jahre Partnerschaft zwischen den Bistümern Speyer und Cyangugu
Cyangugu. „Eine junge, lebendige Kirche mit vielen jungen Menschen“ – so fasst Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann die Erfahrungen seiner Delegationsreise nach Ruanda zusammen. Zusammen mit Kerstin Fleischer, Referentin für Hospiz- & Trauerseelsorge und ab April Leiterin der Hauptabteilung Seelsorge, und Katharina Kiesel, Referentin für Kommunikation, bereiste der Bischof eine Woche lang das ostafrikanische Land, mit Fokus auf das Gebiet des Partnerbistums Cyangugu im Südwesten Ruandas. Eingeladen hatte dessen Bischof Edouard Sinayobye. „We are now celebrating the anniversary of 40 years. It is a very important moment, to have you here, and to share with you our joy“ (= „Wir feiern den 40. Geburtstag der Partnerschaft. Es ist ein sehr wichtiger Moment, Sie hier zu haben und unsere Freude mit Ihnen zu teilen“), begrüßte Bischof Edouard die Delegation in seiner Diözese.
Im 1981 gegründeten Bistum Cyangugu leben etwa 800.000 Einwohner, rund 40% von ihnen sind römisch-katholisch. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung sind jünger als 24 Jahre. Die Priester der Diözese haben sich insbesondere die drei Aufgaben Versöhnung, pastorale Betreuung der Familien und soziale Dienste auf die Fahnen geschrieben. Während der Reise besuchte die Delegation daher neben verschiedenen Pfarreien auch mehrere soziale Projekte des Bistums.
Ein Großteil der Schulkinder kommt von der Straße
Eines der besonderen Ereignisse war der Besuch der St. Paul Muko Schule in der Pfarrei Mashyuza. Das Besondere an der Schule: Etwa Dreiviertel der über 400 Schülerinnen und Schüler sind ehemalige Straßenkinder. Schulleiter und Pfarrer Emmanuel Uwingabire macht sich aktiv auf die Suche nach Kindern, die aus verschiedensten Gründen, etwa weil die Eltern verstorben sind oder weil die Mutter als Prostituierte arbeitet, auf der Straße gelandet sind. Sie alle lädt er in seine Schule ein, wo sie Essen und einen geregelten Tagesablauf bekommen. Die Schule bezieht aber auch die Familien der Kinder mit ein und versucht, diese wieder miteinander zu vereinen. Obwohl zum Zeitpunkt des Besuchs in Ruanda eigentlich Ferien waren, waren zahlreiche Schülerinnen und Schüler gekommen, um Bischof Edouard, Bischof Wiesemann und die Delegation willkommen zu heißen. Stolz präsentierten sie, was sie in der Schule gelernt haben – eine bunte und sehr beeindruckende Mischung aus Tanz, Gesang und Akrobatik. „In Europa könnten alle Aufführungen, die wir hier gesehen haben, auch auf einer großen professionellen Bühne stattfinden, so gut war das“, staunte Bischof Wiesemann. Zwischendurch wurde es aber auch ernst, als einige Kinder von ihrer Vergangenheit berichteten. „We were meaningless, our life was worse, less than nothing“ (= „Wir waren bedeutungslos, unser Leben war schlechter, weniger als nichts“), hieß es da zum Beispiel. Eine Schülerin freute sich über die neue Chance, die sie dank der Schule gewonnen hat: „But now, we are heard, we are loved, we feel free, because we are at home.“ (= „Aber jetzt werden wir gehört, wir werden geliebt, wir fühlen uns frei, weil wir zu Hause sind.“)
In unmittelbarer Nähe zur St. Paul Muko Schule besuchte die Delegation vier Schwestern der Ordensgemeinschaft Missionarinnen der Nächstenliebe. Auch sie versuchen, sich den gesellschaftlichen Problemen entgegenzustellen und konzentrieren sich in ihrer Arbeit auf Straßenkinder und Prostituierte in der Region. Letztere können bei den Schwestern Handarbeit und die Produktion von Perlen-Untersetzern lernen, damit sie sich ihren Lebensunterhalt künftig auf andere Art verdienen können.
Bunte Kultur und gemeinsame Messfeiern
Spannende Einblicke in die Kultur und den gelebten Glauben vor Ort bot die Priesterweihe von Simon Kaneza in Nkanka. „Es war ein ganz anderes Erlebnis als die Kirche in Deutschland. Die Priesterweihe hat insgesamt fast fünf Stunden gedauert, es gab immer wieder Tänze verschiedener Generationen, alle haben gemeinsam gesungen und den neuen Priester gefeiert. Das war einmalig. Wir konnten hier die Kultur, aber auch die starke Glaubensgemeinschaft hautnah erleben, und wurden stellenweise sogar ein Teil von ihr“, so Katharina Kiesel. Viele der geschätzt 4.000 teilnehmenden Gläubigen sind weite Strecken zu Fuß gelaufen, um die Messe zu feiern – zwei bis drei Stunden waren dabei keine Seltenheit. Bischof Wiesemann: „Was ich hier erfahren durfte, an Freude im Glauben, an Lebendigkeit und an Gemeinschaftsgefühl, das ist eine ganz große Bereicherung.“
Die Gemeinschaft der Gläubigen war über die ganze Woche hinweg spürbar, insbesondere auch auf Nkombo. Die Insel liegt im Kivu-See, und ist die Heimat von etwa 22.000 Menschen. Bereits am Steg wurden die Besucher von einer Gruppe Frauen herzlich empfangen, die sie dann den ganzen Weg – etwa 20 Minuten bergauf – singend zur Kirche begleitete. Auch dort wurde ein bereichernder Gottesdienst gefeiert. Am Ende tanzte und sang die komplette Kirche. „Ich fand es beeindruckend, in die Lebenswirklichkeit der Menschen einzutauchen – alles was man an Essen, Trinken oder Baumaterialien braucht, muss erst über den See gebracht und dann den Berg hinauf zu den Häusern getragen werden“, erzählt Kerstin Fleischer. Auf der Insel wurde aber auch die Armut im Land sehr deutlich: Die Delegation besuchte eine Frau und ihre drei Kinder, die ihr spärlich eingerichtetes Haus von der Pfarrei finanziert bekommen hatten, um ihnen Reis und Bohnen zu bringen. „Als wir durch die Straßen gelaufen sind, da mal einen Blick nach rechts und links zu werfen, und die Armut der Menschen zu spüren, gleichsam aber auch, wie zufrieden und froh sie sind, das hat mich sehr bewegt“, so Fleischer.
Die beiden Pfarrgemeinden Nkanka und Nkombo pflegen seit 20 Jahren einen engen Austausch und eine Partnerschaft mit der pfälzischen Gemeinde Erfenbach, die ebenfalls mit einer Gruppe an beiden Feierlichkeiten teilnahm. „Ich bin froh, dass wir sehr aktive Gemeinschaften haben, die die Partnerschaft mit Leben füllen“, betonte Bischof Wiesemann. „Und das ist meiner Meinung nach das Wichtigste - die Menschen, die das seit Jahren machen, hierherkommen und ihr Leben teilen. Wir können hier eine Menge Erfahrungen sammeln, die für uns sehr wichtig sind, aber auch Hoffnung und Kraft geben - in beide Richtungen.“
Neben der Gruppe aus Erfenbach schloß sich auch Laurenz Rieder, der gerade sein Freiwilliges Soziales Jahr in Cyangugu absolviert, der Delegation an. Bischof Edouard lobte seinen Einsatz: „Volunteers are the showing practice of the partnership, the concrete signs. You are our future.“ (= „Die Freiwilligen sind die sichtbare Praxis der Partnerschaft, die konkreten Zeichen. Sie sind unsere Zukunft.“)
Unterstützung aus Speyer für die medizinische Versorgung
Zwei weitere Freiwillige, zwei Medizin-Studentinnen aus Bochum, traf die Gruppe bei ihrem Besuch im Mibilizi Krankenhaus. Sie absolvieren gerade ihr vierwöchiges Praktikum in der Klinik. Der Fokus des Besuches lag auf der neu gebauten Geburtsklinik – ein Projekt, das mit finanzieller Unterstützung des Speyerer Bistums realisiert wurde. Bisher wurde die erste Phase eines mehrstufigen Plans fertiggestellt; eine Station für Frauen direkt vor und nach der Geburt, inklusive Kreißsaal, ist entstanden. Als nächster Schritt laufen aktuell die Bauarbeiten an einer Wochenbettstation. Die Ärzte vor Ort berichteten, dass die neue Einrichtung von den Frauen in der Region sehr gut angenommen werde, und dass die Zahl der Klinik-Geburten seitdem stark zugenommen habe. In Ruanda gibt es eine obligatorische Krankenversicherung für alle Einwohner. Jeweils im Juli muss jeder Bürger 3.000 Ruanda Franc (umgerechnet ca. 2 Euro) bezahlen. Für ein Jahr übernimmt die Regierung dann 90 Prozent aller Arztkosten, die restlichen 10 Prozent der oder die Versicherte.
Das 1952 gegründete Krankenhaus ist seit den 80er-Jahren in Besitz der Diözese Cyangugu. Die Klinik versorgt über 315.000 Menschen, Tendenz stark steigend. Eine große Herausforderung liegt in der abgeschiedenen Lage: Mibilizi ist nur über eine schlecht ausgebaute Straße erreichbar, die nächst größere Stadt Kamembe, in der auch viele Mitarbeiter leben, liegt 27 Kilometer entfernt. Das Krankenhaus hat dadurch große Probleme, Mitarbeiter – sowohl Ärzte als auch Hebammen – zu finden. Gerade Ärzte arbeiten in Ruanda häufig in mehreren Krankenhäusern oder Praxen gleichzeitig, durch die schlechte Lage von Mibilizi ist das nicht möglich.
Bewegende Einblicke in die Geschichte des Landes
Zum Abschluss der Reise ging es noch für einen Tag nach Kigali, in die Hauptstadt Ruandas, für einen sehr eindrücklichen und bedrückenden, aber dennoch wichtigen Programmpunkt: der Besuch des Genozid Denkmals. 1994 erlangte das Land internationale Aufmerksamkeit, als in knapp 100 Tagen Angehörige des Volksstamms der Hutu etwa eine Million der in Ruanda lebenden Tutsi-Minderheit töteten. Ebenfalls zum Opfer fielen Hutu, die sich am Völkermord nicht beteiligten oder sich aktiv dagegen einsetzten. Nach einem Film, in dem Hinterbliebene von ihren Erfahrungen erzählten, beschrieb eine Ausstellung mit zahlreichen Bildern und Texten, wie sich der Genozid über die Jahre hinweg langsam aufgebaut hat und wie es dann zur Eskalation kam. Die Leidensgeschichten und Gesichter der Opfer bekommen innerhalb der Ausstellung viel Raum, sodass die Besucherinnen und Besucher einen eindrücklichen Einblick erhalten können. Das Mahnmal ist ein beeindruckender Ort, der zeigt, dass sich
Ruanda aktiv mit seiner Vergangenheit auseinandersetzt und alles daran setzt, eine Wiederholung zu verhindern.
Voller Eindrücke, Erfahrungen und in Erinnerung an unzählige bereichernde Momente brach die Gruppe nach einer Woche wieder in die Heimat auf. Bischof Wiesemann blickte zum Ende der Reise auf drei maßgebliche Erkenntnisse, die er während der Reise und durch die Gespräche mit den Menschen vor Ort gewinnen konnte, zurück: „Freude am Leben, Freude am Glauben, Freude am Zusammensein“.
Bildunterschriften:
Ausblick von der Insel Nkombo auf den Kivu See © Bistum Speyer
Volles Haus beim Gottesdienst auf der Insel Nkombo © Bistum Speyer
Ein typisches Haus in Ruanda – aus Lehm, Stein und anderen Erdmaterialien erbaut © Bistum Speyer
Gabenbereitung bei der Priesterweihe in Nkanka © Bistum Speyer
Bischof Wiesemann mit Schülerinnen und Schülern der Saint Paul Muko Schule © Bistum Speyer
Schülerinnen und Schüler der Saint Paul Muko Schule präsentierten traditionelle Tänze © Bistum Speyer
Die verhältnismäßig gute Straße auf dem Weg nach Nkombo © Bistum Speyer