Freitag, 28. Juni 2024

Erst Brasilien, dann Speyer

Pirmin Spiegel, Misereor-Bischof Stephan Burger und Weihbischof Otto Georgens zu Beginn des Jahres in Kolumbien. © Misereor 

Mit einem feierlichen Gottesdienst ist Pirmin Spiegel nach zwölf Jahren Amtszeit als Hauptgeschäftsführer des Werks für Entwicklungszusammenarbeit Misereor verabschiedet worden. Nach einem Aufenthalt in Brasilien wird er wieder in seine Heimatdiözese nach Speyer zurückehren.

Aachen. „Wir kämpfen dafür, dass jeder und jede einen Platz am Tisch des Lebens hat“. Ein Satz, der zu den Kernbotschaften Spiegels in seiner Zeit als Misereor-Chef gehört. Der 66-Jährige, der aus Großfischlingen in Rheinland-Pfalz stammt, als Pfarrer in der Diözese Speyer und insgesamt 15 Jahre im Nordosten Brasiliens wirkte, zeigt sich davon überzeugt, dass eine gerechtere und fairere Welt möglich ist. Eine Welt, in der jedem Menschen ein gutes und würdevolles Leben zuteil wird – und zwar ohne dass die natürlichen Grenzen des Planeten Erde dabei überschritten werden.

Ein Weg: Zufriedene Genügsamkeit

Unermüdlich setzte sich Spiegel als Misereor-Hauptgeschäftsführer dafür ein, diesem Ziel näher zu kommen. Er appellierte an Politik und Gesellschaft, den politischen Willen, Entschluss- und Tatkraft dafür aufzubringen, die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Diese seien keine Utopie, sondern machbar. „Wer über Armut spricht, darf über Reichtum nicht schweigen“, skizzierte Spiegel immer wieder, wie der Weg zu mehr Gerechtigkeit aussehen könnte. Schon kurz nach Beginn seiner Amtszeit initiierte der Misereor-Chef einen Reflexionsprozess zur Frage, wie ein anderes Leben und Wirtschaften aussehen könnte, das zukunftsfest und nachhaltig ist. „Zufriedene Genügsamkeit“ nannte er die dahinterstehende Grundhaltung, zu der komme, wer maßhalte und konsumiere, was er oder sie wirklich zu einem guten Leben braucht.

„Laudato sí“ als Leitschnur

Besonders inspiriert wurde Spiegel durch die Enzyklika „Laudato sí“ von Papst Franziskus. Die Botschaft des Papstes zur Überwindung weltweiter Armut, zu mehr Gerechtigkeit, zur Sorge um das gemeinsame Haus und zu einem anderen Umgang mit der Schöpfung sei seit ihrer Veröffentlichung im Jahr 2015 immer aktuell geblieben, so Spiegel. „Angesichts der vielen Krisen unserer Zeit war und ist es für mich immer wieder hilfreich, dass ‚Laudato sí‘ die soziale und ökologische Krise zusammendenkt.“ Wie stark diese ökologische Krise Menschen in existenzielle Nöte bringen kann, hat der Misereor-Hauptgeschäftsführer an vielen Orten im Globalen Süden gesehen. Beispiel Pazifik: „Der steigende Meeresspiegel verschluckt in Fidschi  fruchtbares Land und bedroht Existenzen. Auch Friedhöfe werden überschwemmt und verschwinden. Die Gespräche mit Menschen, die dadurch die Gräber ihrer Ahnen verloren haben, werde ich nicht vergessen. Sie leiden, weil ihre Verstorbenen, mit denen sie eine enge Verbindung haben, leiden. Das sind Erfahrungen, die prägen und bewegen.“

Ein Dank aus Brasilien

„Aus Anlass der Amtsübergabe von Pirmin Spiegel möchten wir unsere Dankbarkeit für die Hilfe zum Ausdruck bringen, die wir von Misereor für die Sache der indigenen Völker zur Verteidigung ihres Lebens und ihrer Territorien in Brasilien immer wieder erfahren haben. In der solidarischen und geschwisterlichen Nähe Misereors kam stets eine tiefe Verbundenheit und Weggemeinschaft mit den indigenen Völkern und dem Eingeborenen Missionsrat (Cimi) zum Ausdruck“, sagte der in Brasilien lebende katholische Theologe Paulo Süss als Gast der Veranstaltung, zu der unter anderen auch der für Misereor zuständige Freiburger Erzbischof Stephan Burger, der Leiter der NRW-Staatskanzlei und Landesminister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien, Nathanael Liminski, sowie der Präsident des Umweltbundesamtes, Dirk Messner, gekommen waren. Weihbischof Otto Georgens repräsentierte das Bistum Speyer – er begleitete im Vorfeld der diesjährigen Misereor-Fastenaktion, die ebenfalls im Bistum Speyer eröffnet wurde, Pirmin Spiegel nach Kolumbien.

Die Schwächsten als Akteure des Wandels

Spiegel warb in seinen Abschiedsworten darum, Menschen aus dem Globalen Süden weniger als Hilfsbedürftige zu sehen, sondern vor allem ihre Stärken und Potentiale in den Vordergrund zu rücken. „Selbst die ökonomisch Schwächsten der Gesellschaft haben etwas zu geben. Sie können zur Lösung der Probleme beitragen. Wir sollten nicht annehmen, dass Ärmere nicht in der Lage sind, ihr eigenes Überleben zu organisieren. Sie sind keine Hilfsobjekte. Sie sind Akteure des Wandels – alle an je ihrem Ort und gemeinsam global.“

Dr. Andreas Frick wird als künftiger Hauptgeschäftsführer von Misereor umfassende Veränderungsprozesse leiten und in einer Vielzahl von Tätigkeitsbereichen Verantwortung übernehmen. Den Alltag und das Leben von Menschen in Ländern mit hoher Armutsquote in Afrika, Asien und Lateinamerika kennt Frick aus eigener Anschauung und persönlichen Begegnungen in Bolivien, Kolumbien, Indien und Pakistan bzw. aus langjähriger Projektbegleitung mit Partnern in Burkina Faso und Ghana: „Misereor steht in großer, weltweit anerkannter Verantwortung. In die trete ich mit Freude und aller mir verfügbaren Kraft ein: Mit Ihnen allen und den Partnern weltweit werden wir diesen gemeinsamen Weg fortsetzenund die Zukunft Misereors weiter gestalten“.

Erst Brasilien, dann Speyer

Im Interview mit der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA) verriet Pirmin Spiegel seine künftigen Pläne. Erst wird er drei Monate in seinem Herzensland Brasilien verbringen, dann geht es zurück in die Pfalz. Dort wird er in Speyer seine Erfahrungen und Fähigkeiten einbringen: „Die Kirche will Segensort sein, und ich bin überzeugt, dass es in der Gesellschaft schon sehr viele solcher Orte gibt, wo Menschen aus ihrer Menschlichkeit und ihrem Glauben heraus ein Segen sind für andere - auch wenn sie das nicht so bezeichnen würden. Etwa in der Arbeit mit Migranten oder für den Klimaschutz. Und das werden wir noch gezielter angehen. Darauf freue ich mich sehr und bin auch gespannt, was wir schaffen können“. Trotz seiner globalen Tätigkeitsfelder ist Spiegel immer mit seiner Heimatdiözese in Kontakt geblieben, sei es beispielsweise über das Referat Weltkirche oder die Aktion Silbermöwe, die seit mehr als 50 Jahren aus Speyer die Entwicklungszusammenarbeit mit Spenden unterstützt.

Text: Misereor/is, Fotos: Misereor