Montag, 23. Oktober 2023
„Den ganzen Tag fliegen die israelischen Militärflieger über uns“
Interview mit dem Benediktiner Pater Elias aus Israel
Tabgha. Es ist Krieg im Heiligen Land! Seit dem massiven Angriff auf Israel vor 14 Tagen durch die radikal-islamische Hamas ist der Nahost-Konflikt auf einem neuen Höhepunkt der Gewalt. Obwohl unsere Bundesregierung Deutsche dazu aufruft, Israel zu verlassen gibt es einige, die trotzdem bleiben. Um zu arbeiten, um zu helfen, um für andere Menschen als seelischer Anker vor Ort zu bleiben. Einer von ihnen ist Pater Elias. Mit bürgerlichem Namen heißt er eigentlich Walter Pfiffi und kommt gebürtig aus Queidersbach in Rheinland-Pfalz. Seit 25 Jahren wohnt er bereits in Israel und ist dort zum Benediktiner Mönch geworden. Und seit zwei Monaten lebt er im Kloster in Tabgha, am See Genezareth. Dort arbeitet er als Auslandsseelsorger für die deutschsprachigen Katholiken und ist geistlicher Leiter für das dortige Pilgerhaus vom Deutschen Verein vom Heiligen Land.
Pater Elias bekommt jeden Tag etwas vom Krieg mit, er hört jeden Tag die israelische Luftwaffe: „Die Situation bei uns ist ruhig. Wir haben im Moment keine Gäste, keine Volontäre. Was wir hören sind die Flugzeuge, die über uns hinwegfliegen. Den ganzen Tag fliegen die israelischen Militärflieger über uns“ sagt Pater Elias. „Aber sonst ist es sehr ruhig. Weil wir auch in einem abgelegenen Ort liegen. Sie müssen sich das vorstellen wie so einen Hof, einen Weiler, fünf bis sechs Kilometer von der nächsten Ansiedlung entfernt.“ Pater Elias lebt in der Dormitio Abtei. Bis vor zwei Monaten war er die letzten Jahre im Kloster in Jerusalem auf dem Berg Zion, südlich der Altstadtmauer. Zurzeit ist er in der Zweigstelle in Tabgha. Bis zum Gazastreifen sind es von ihm etwa 150 Kilometer. Die Grenze zum Libanon ist nur rund 50 Kilometer entfernt. „Ich lebe seit 25 Jahren in Israel und natürlich kenne ich die Menschen“ sagt Pater Elias. „Ich kenne viele Palästinenser und ich kenne Israelis, die als Soldaten jetzt hier eingezogen werden und die als Reservisten sich bereit erklären. Ich kenne also das Leid der Menschen, das hier vor Ort ist und das momentan keine Aussicht hat auf einen gerechten Frieden - sondern erstmal noch weiter eskaliert.“
Doch wie verarbeiten die Menschen, die dem Benediktiner begegnen, diese Eskalation des Nahost-Konflikts? Pater Elias fasst die Gemütslage der Einwohner zusammen. „Also alle hier sind gedrückt und deprimiert, also keiner weiß, wie es weiter geht. Jeder ist irgendwie involviert – irgendwo ist überall Leid. Es ist bei manchen auch ein latenter Hass so zu spüren und ein Ärger und eine Wut, die nicht einfach so weggeredet werden können!“
Angst hat er allerdings nicht, wie er sagt: „Wir sind abgelegen. Wir hatten diese Woche auch schon mal einen Raketenalarm, wo wir in unseren Bunker mussten – aber Gott sei Dank war es nur Fehlalarm. Wir sind hier im Norden, 150 Kilometer vom Gazastreifen entfernt. Leider nur 50 Kilometer von der libanesischen Grenze. Wenn sich da was zusammenbraut, das ist natürlich für uns dann gefährlicher. Aber wir sind so abseits von jeder größeren Wohnsiedlung, dass wir da eigentlich keine all zu große Angst haben müssen.“
Doch trotz der ganzen Gesamtsituation fühlt sich Pater Elias in Israel sicher: „Also ich fühle mich hier sehr sicher“ sagt der gebürtige Queidersbacher. „Ich lebe schon 25 Jahre hier und im Norden. Auch wenn Raketen fliegen – wir sind gut vernetzt! Der Alarm läuft, wir gehen in den Bunker und dann kriegen wir irgendwann gesagt, dass es wieder vorbei ist. Und wir sind hier nicht in der Stadt oder im Dorf, sondern für uns allein. Da brauche ich keine Angst zu haben und das Militär steht jetzt hab acht, ist parat. Und die sind einfach jetzt achtsam und da kann nicht mehr das passieren was vor zwei Wochen da passiert ist im Gazastreifen.“
Aber selbstverständlich hat die aktuelle Situation Konsequenzen für die Abtei und das Leben darin: „Also in Jerusalem ist es ähnlich, da ist auch kaum mehr etwas los, es ist alles gedämpft“ sagt Pater Elias: „Die Raketen aus Gaza treffen manchmal die Vororte von Jerusalem, aber sonst ist Jerusalem sicher. Was knistert, ist zwischen den Menschen manchmal, das die Menschen sich mit Argwohn und Wut begegnen, das man nicht weiß wie das jetzt weiter geht – zwischen den verschiedenen Ethnien. Ob die in Zukunft auch in Frieden miteinander leben können. Aber in der Abtei ist es auch noch soweit ruhig und sicher – bis jetzt noch.“
Wie es jetzt weiter geht mit dem aktuellen Nahost-Konflikt – dazu kann Pater Elias keine Einschätzung vornehmen. Aber es bleibt die Hoffnung auf Frieden: „Also hoffen und beten tun wir natürlich, dass der Konflikt bald zu Ende geht. Aber es sieht erstmal nicht so aus. Dieses Geschehen vor vierzehn Tagen – das war ja schon ein Massaker. Und klar ist, dass die Israelis da auch irgendeine Rache wollen. Wie die aussehen wird oder ob das ein Flächenbrand wird, das weiß man nicht, das sind die Israelis wahrscheinlich noch am überlegen. Aber wie sich das Ganze weiterentwickelt? Gott sei Dank kommen jetzt einige Politiker, wie unser Bundeskanzler Olaf Scholz und letzte Woche Außenministerin Annalena Baerbock, die wirklich vor Ort sind und die sich auch darum kümmern, dass die Geiseln und auch die deutschen Geiseln befreit werden, die noch in der Hand der Hamas sind. Und wir hoffen das dieses große Engagement der Politik und unser kleines Engagement hier den Menschen zu helfen und für den Frieden zu beten, das das zusammenwirkt und das die Lage nicht eskaliert.“
Pater Elias betet täglich für den Frieden in der Region. Doch wie sehr hilft ihm selbst sein Glaube an Gott durch diese Krise zu kommen? „Also das ist auf jeden Fall sehr wichtig, das wir dann auch hier sind an den heiligen Orten. Das wir einfach unsere Not, unsere Klage, unsere Wut auch im Gebet vor Gott bringen können“ sagt Pater Elias: „Gestern war in der Dormitio Abtei ein 24 Stunden Gebet, von Mitternacht bis Mitternacht. Gebetet wurden die Psalmen, die wir auch hier immer beten als Mönche. Und wo auch diese ganze Klage, Wut, Zorn und Vertrauen sehr gut zum Ausdruck gebracht wird. Die Psalmen die auch das Gebet der Juden sind, die Gebete im Koran davon beeinflusst sind, die Gebete, die die Christen beten – also dieses Psalmengebet fängt sehr gut die ganzen Emotionen auf und hilft die eigenen Emotionen gut ins Wort zu bringen.“
Apropos Glauben: spielen eigentlich die Religionen eine Rolle in diesem Konflikt? Pater Elias sagt nein: „Ich meine die Hauptrolle spielt hier eher die Ethnie – also wo ich zugehöre. Ob ich Jude, oder Palästinenser oder Araber bin, das ist die Hauptentscheidung“ sagt der Benediktiner voller Überzeugung: „Ob ich jetzt Muslime, Christ oder Jude bin ist das Problem nicht so sehr, sondern mehr: zu welcher Ethnie gehöre ich. Und das ist letztendlich dann auch entscheidend und bringt praktisch den Menschen zur Weißglut oder dazu den anderen, der anderen Ethnie, etwas anzutun, zu ermorden oder zu massakrieren. Nicht so sehr die Religion.
Kritisieren möchte Pater Elias aber den Umgang der Medien mit diesem Konflikt. Denn gerade auf den sozialen Netzwerken werden sehr leicht und sehr schnell Bilder der Greueltaten rund um die Welt geschickt: „Es ist nicht nur ein Krieg der Waffen, es ist auch ein Krieg der sozialen Medien, der Bilder“ mahnt Pater Elias: „Es ist ein Wettkampf: wer hat am meisten gelitten, wo wurde das größte Massaker verursacht, wer hat die meisten Kinder getötet. Also in den Medien und in diesen Bildern wird auch ein eigener Wettkampf gestartet, an dem ich nicht teilnehme. Ich schau mir die Bilder nicht an um nicht einfach auch verroht zu werden. Es gibt die Massaker hier, aber leider zeigt die Geschichte der letzten 50 oder 100 Jahre, das es überall schon solche brutalen Massaker gab und das die Menschen sich da wirklich sehr animalische Dinge antun können.“
Doch Pater Elias resigniert nicht – er betet. Für den Frieden. Und er hofft, dass die Menschen im heiligen Land in naher Zukunft alle in Frieden miteinander leben können. Denn das Psalmengebet zeigt, das Juden, Muslime und Christen auch Gemeinsamkeiten haben. Und dass ein friedliches Miteinander möglich ist, wenn alle ihre Wut, ihren Zorn, ihre Klage ablegen und vertrauensvoll aufeinander zugehen. Und sich bewusst machen: egal welche Ethnie wir haben – wir sind alle gleich. Wir sind Menschen. Also sollten wir uns auch so verhalten: menschlich.
Text: Parviz Khosrawi, Foto: Privat
