Montag, 28. Mai 2018
„Der Beruf ist eine Berufung“
Gemeindereferenten im Bistum Speyer feiern im Priesterseminar 90. „Geburtstag“ ihres Berufes – Festgottesdienst mit Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann
Speyer. Seit 90 Jahren gibt es in der katholischen Kirche in Deutschland den Beruf der Gemeindereferentin oder des Gemeindereferenten. Dies nahm die Berufsgruppe zum Anlass, im Rahmen ihres jährlichen Gemeinschaftstages am 25. Mai ein „Geburtstagsfest“ im Priesterseminar St. German in Speyer zu feiern.
Im Bistum Speyer sind zurzeit 122 Gemeindereferenten/-assistenten tätig. Rund 100, die derzeit im Beruf sind, im Ruhestand und in Ausbildung, folgten der Einladung nach Speyer. Sie nutzen den Gemeinschaftstag, um sich besser kennenzulernen, auszutauschen, Gottesdienst zu feiern und einem Festvortrag zu lauschen. Unter den Teilnehmern war auch die frühere Diözesanreferentin Hildegunde Bickelmann, die von der Runde mit einem jubelnden Applaus begrüßt wurde. Vor 20 Jahren hat sie den Ruhestand angetreten, aber ihr Herz schlägt noch immer für den Beruf: „Ich würde ihn wieder wählen.“ Sie ist überzeugt, dass der Beruf den Wandel vollzieht und bestehen bleibt. „Ich glaube an die Kraft Gottes.“
Die 23 Jahre alte Lara Mayer studiert derzeit Praktische Theologie und freut sich auf die abwechslungsreiche, direkte Arbeit mit Menschen. Krankenhausseelsorgerin Beate Stiegler liebt diese vielfältige Arbeit, die immer wieder neue Herausforderung und Begegnungen vom Baby bis zum Hochbetagten bietet: „Jede Begegnung ist anders, jeder Tag ist anders.“
Artur Kessler ist Gemeindereferent in der Pfarrei Mariä Himmelfahrt in Landau und Gemeindeberater. Die größte Herausforderung für ihn besteht derzeit darin, „unseren Glauben in einer Welt zur Sprache zu bringen, in der Gott eine geringere Rolle spielt“. Für ihn zähle, als Gemeindereferent zu den Menschen zu gehen und nicht darauf zu warten, „dass sie zu uns kommen“.
Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann hielt den Festgottesdienst, den die Gemeindereferenten zum Großteil gestalteten. Ihren Tag hatten die sie unter das Motto „Mittendrin“ gestellt. Im Gottesdienst spürten sie nach, was es bedeutet, „mittendrin“ zu sein. Einige meldeten sich zu Wort und machten deutlich, dass „mittendrin“ sowohl den ganz gewöhnlichen Alltag, aber auch besonders herausfordernde und kräftezehrende Situationen betrifft. Sie zeigten auf, in wie vielen Bereichen sie mittendrin sind: als Seelsorger im Krankenhaus, bei der Polizei, in der Schule oder in den Pfarreien. Gemeindereferenten teilen Freude und Lachen, aber auch Sorgen, Ängste und Nöte. Sie geben den Menschen Halt, stehen ihnen bei und versichern ihnen Gottes Gegenwart. Eine Stimme bezeichnete die Gemeindereferenten als die Schmuckstücke der Kirche. Eine andere bedauerte, weniger Zeit für persönliche Kontakte zu haben.
In seiner Predigt bedankte sich Bischof Wiesemann mehrfach für das Engagement der Gemeindereferenten. Ihre Arbeit sei „etwas Großes, Wunderbares, Bereicherndes“, sagte er in der Kirche des Priesterseminars. Der Beruf der Gemeindereferenten sei mehr als ein Job: „Er ist eine Berufung.“ Diese sei nicht immer leicht zu erfüllen. Enttäuschungen müssten verkraftet, schwierige Situationen gemeistert, der Spagat zwischen Familie und Beruf bewältigt werden. Zudem begegneten Gemeindereferenten derzeit zahlreiche weitere Herausforderungen. Vieles verändere sich: die Rahmenbedingungen, die Menschen, die Welt. „Mancher fragt sich, ob die Aufgabe noch die ist, die er einst gewählt hat“, zeigte er sich verständnisvoll. Der Bischof machte Mut, mit Gottvertrauen, „gemeinsam Kirche zu sein“. Er dankte, dass sich die Gemeindereferenten den Veränderungen stellen und sie mittragen.
Die wechselvolle Geschichte des Berufs stellte Katharina Seifert in ihrem Festvortrag vor. Die Leiterin des Margarete-Ruckmich-Hauses in Freiburg blickte nicht nur auf die letzten 90 Jahre, sondern weiter zurück: Durch die industrielle Revolution vollzog sich im 19. Jahrhundert ein tiefgreifender gesellschaftlicher Wandel. Der pastorale Weg musste anders gestaltet werden. Statt Gemeinschaftsseelsorge mit Wallfahrten, Missionen oder Vereinswesen stand nun die individuelle Betreuung im Mittelpunkt. Deshalb suchten vor rund 100 Jahren überlastete Pfarrer nach Hilfskräften. Männer sollten als ehrenamtliche Pastoralhelfer mitarbeiten. Aber praktisch waren es alleinstehende, hochgebildete Frauen, die vor rund 100 Jahren die Seelsorge unterstützten. 1920 wurde die erste Caritasschule für Frauen gegründet mit den Ausbildungszielen Caritas und Seelsorge.
„Der Ruf nach einer umfassenden Ausbildung durch die die Frauen, die bereits in der Seelsorge wirken, wurde immer lauter“, schilderte Seifert. So wurde mit Zustimmung der deutschen Bischöfe am 17. April 1928 die „Katholische Gemeindehelferinnenschule“ in Freiburg gegründet. Dieses Datum feierten die Gemeindereferenten im Bistum Speyer jetzt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden zahlreiche Seelsorger gesucht, weshalb zahlreiche neue Seminare geschaffen wurden, erläuterte Katharina Seifert. Seit den 1960er Jahren können auch Männer die Ausbildung zum Seelsorgehelfer beginnen. Anfang der 1970er Jahre legte die gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik die neue Berufsbezeichnung fest: Statt Seelsorgehelfer(in) heißt sie nun Gemeindereferent(in). Zudem änderten sich die Anforderungen und Aufgaben der Berufsgruppe, worauf auch die Ausbildung reagierte. „Es wird ein breiteres Spektrum an religionspädagogischer Bildung und theologischem Wissen notwendig.“
„Wie im 19. Jahrhundert stehen wir nun wieder vor umfassenden gesellschaftlichen Veränderungen: Kirche und Glauben werden für zahlreiche Menschen unbedeutender, Vereinzelung statt Gemeinschaft, Event- und Erlebniskultur statt innere Einkehr, weniger Finanzmittel für die Kirchen. Die Entscheidung einiger Diözesen, die Ausbildung vorerst auszusetzen oder Anstellungszahlen zu begrenzen, sind weitreichende und schmerzhafte Einschnitte in der Berufsgeschichte“, mahnte Seifert. Zudem sieht sie die pastoralen Laienberufe immer im Wettbewerb zu anderen religiösen oder semi-religiösen Dienstleistern.
Die Fachakademie in Freiburg habe in den letzten zehn Jahren deutlich gespürt, dass sich weniger Menschen für die Ausbildung interessieren, sagte sie. Neuen Aufschwung brachte eine Neuprofilierung des Studiengangs.
Gemeindeassistenten studieren drei Jahre Praktische Theologie an einer Katholischen Hochschule oder an einer Fachakademie und absolvieren anschließend ein Praxisjahr in einer Gemeinde. Nach weiteren zwei Jahren Berufseinführung werden sie zur Gemeindereferentin oder Gemeindereferenten ernannt. Sie arbeiten als Seelsorgerinnen und Seelsorger in Pfarrgemeinden, Krankenhäusern, Seniorenheimen, Gefängnissen. Sie sind tätig in der Notfallseelsorge, in Schulen oder als Referenten für verschiedene Aufgabengebiete im Bischöflichen Ordinariat.
Text/Foto: Yvette Wagner
Bildergalerie zur Feier (Fotos: Philipp Ochsner)