Dienstag, 16. Oktober 2018

Einblicke in die Rolle der Kirchen in Europa

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am ökumenischen Pfarrkolleg. 

Ökumenisches Pfarrkolleg in Brüssel

Speyer. Das „Ökumenische Pfarrkolleg“ ist eine gemeinsame Erfolgsgeschichte des Bistums Speyer und der Evangelischen Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche). Seit 1972, in diesem Jahr das 25. Mal, fahren jeweils 15 katholische und 15 evangelische Pfarrerinnen und Pfarrer bzw. Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten gemeinsam in ein europäisches Land, eine große Stadt oder an einen Ort von besonderer ökumenischer Bedeutung. Das kirchliche Leben dort kennenzulernen, der ökumenischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Lage der Menschen in dieser Region näher zu kommen, ist eines der beiden Ziele des Pfarrkollegs. Genauso wichtig sind die persönlichen Begegnungen, der Austausch und die Gespräche der Teilnehmenden, in denen das ökumenische Miteinander gepflegt wird. „Das Ökumenische Pfarrkolleg ist so gut und wichtig, dass man es erfinden müsste, wenn es dies noch nicht gäbe“, betont ein Teilnehmer. 

Studienreise nach Brüssel 
In diesem Jahr war Brüssel das Ziel der Studienreise. Als Stadt der Europäischen Institutionen steht es derzeit im Focus der politischen Entwicklungen. Wer diese Entwicklungen mitgestalten will, muss sich vor Ort aktiv in die Arbeit des Europäischen Parlaments, der Kommission und des Rates einmischen. So ist die Arbeit der kirchlichen Vertretungen in Brüssel nichts anderes als Lobbyarbeit. Als „kleinteilig und viel Geduld erfordernd“ bezeichnete Kathrin Hatzinger diese Aufgabe. Sie ist juristische Oberkirchenrätin und leitet das Büro der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Brüssel. 

Im Augenblick beschäftigt die kirchlichen Vertreter besonders das Thema „Flüchtlinge und Migration“. Die politischen Entwicklungen positiv mitzugestalten und in gute Bahnen zu lenken, ist die eine Seite. Genauso wichtig ist ihrer Meinung nach, Information über die Arbeit der Europäischen Institutionen weiterzuleiten. „Eigentlich ist die EU sehr transparent, was die Veröffentlichung von Dokumenten angeht“, stellt sie klar. Und doch komme Vieles nicht „unten an“.

Die kirchliche Arbeit wird unter den verschiedenen Vertretungen gut abgestimmt. „So ist unsere Einflussmöglichkeit am größten“, betont Pfr. Frank-Dieter Fischbach, der als theologischer Referent die Konferenz Europäischer Kirchen vertritt. Auch Michael Kuhn, stellvertretender Generalsekretär des ständigen Sekretariats der Kommission der römisch-katholischen Bischofskonferenzen (COMECE) in der EU, sieht in der Vermittlerrolle eine wichtige Aufgabe. 

Einblicke in die komplexe Struktur der Europäischen Institutionen
Dass die konkrete Arbeit eines Abgeordneten im Parlament mitunter auch ziemlich frustrierend sein kann, wurde beim Gespräch mit dem Referenten des EU-Abgeordneten Michael Detjen aus Kaiserslautern deutlich. Es könne passieren, dass monatelange mühevolle Arbeit vergeblich war, wenn das Parlament einen Antrag nicht annehme. Andererseits profitiere gerade Deutschland sehr von europäischen Fördermaßnahmen, zeigte Dr. Johanna Becker-Strunk. Als Leiterin der Vertretung des Landes Rheinland-Pfalz konnte sie tiefe Einblicke in die komplexe Struktur der Europäischen Institutionen vermitteln. 

Die Bedeutung der EU für Frieden und Wohlstand wurde dem Pfarrkolleg in diesen Tagen unmittelbar bewusst. Und die Notwendigkeit, ihre Leistungen noch mehr positiv zu würdigen und zu unterstützen. Nicht zuletzt durch die Unterstützung der Wahl des EU-Parlaments im nächsten Jahr. 

Säkularisation ist weit fortgeschritten
Belgien ist zwar ein ursprünglich sehr katholisches Land, und auch heute noch sind circa 75% der Einwohner katholisch. Dennoch ist die Säkularisation sehr weit fortgeschritten. Als eine der Herausforderungen nannte Bischof Lodewijk Aerts aus Brügge insbesondere die Loslösung der Menschen von den kirchlichen Traditionen. Obwohl in fast jedem Dorf und in jeder Stadt eine Kirche stehe, nähmen nur noch Wenige am kirchlichen Leben teil. Die Arbeit der vielen katholischen Schulen in Belgien ist darum aus seiner Sicht eine große Chance, um Menschen mit dem christlichen Glauben in Berührung zu bringen. Dies wurde auch bei dem Gespräch mit dem Universitätspfarrer Prof. Jacques Haers der Universität Löwen deutlich. Dem überwiegenden Teil der Studenten an der katholischen Universität seien die christlichen Traditionen fast fremd. „In meinen Vorlesungen muss ich Basiswissen vermitteln“, sagte er. Entsprechend schwierig sei es darum auch, Studierende für die Arbeit der Unigemeinde zu interessieren. 

Auch im Europaviertel gibt es eine „Gemeinde“. Vor allem die Mitarbeitenden in den Institutionen nutzen die Angebote in der Europakapelle gerne. So ist nicht nur das tägliche ökumenische Mittagsgebet wie eine Atempause im Getriebe. Das durfte auch die Reisegruppe spüren. Gastfreundlich und offen ist das Team der Europakapelle für die Bedürfnisse und Anfragen der Menschen in ihrer Nachbarschaft, die die Angebote gerne in Anspruch nehmen. 

Kirchliches Leben in den deutschsprachigen Gemeinden
Sehr lebendige Eindrücke von kirchlichem Leben bekam die ökumenische Gruppe in den deutschsprachigen Gemeinden. Sie durfte sowohl den römisch-katholischen Vorabendgottesdienst als auch den Sonntagsgottesdienst der evangelischen Gemeinde mitfeiern. Im Gespräch mit Gemeindegliedern war spürbar, wie wichtig die heimatsprachlichen Gemeinden für die Deutschen in Brüssel sind. Gleichgesinnte zu treffen, die eigene Sprache zu sprechen und sich in der kirchlichen Arbeit zu engagieren, ist ein wichtiges Moment für Viele. Oft leben deutsche Mitarbeitende der Institutionen viele Jahre in Brüssel und sind froh über die Verbindung nach Deutschland über ihre deutschen Gemeinden. 

Informationen über die Gesetzeslage zur Sterbehilfe
Einen sehr eindrücklichen und profilierten Einblick in die belgische Gesetzeslage zur Sterbehilfe vermittelte die Palliativärztin Dr. Ursula Wetzels. Das 2002 in Kraft getretene Gesetz für die Erlaubnis des Tötens auf Verlangen habe einen schwierigen und intensiven Weg für sie selbst bedeutet. Sie habe dabei gelernt, dass „Sterbehilfe immer eine Grenzüberschreitung ist“. Dennoch könne sie die Sterbehilfe mittlerweile unter bestimmen Voraussetzungen als sinnvollen und barmherzigen Weg sehen und auch gehen. 

Vorträge in der Kirchlichen Universität Löwen
Nicht zuletzt konnte das Ökumenische Pfarrkolleg auch seinen ökumenischen Horizont vertiefen. Prof. Dr. Peter De Mey an der Kirchlichen Universität Löwen ermutigte in seinem Vortrag zur aktuellen ökumenischen Diskussion über Kirche, Eucharistie und Amt ausdrücklich dazu, alle Anstrengungen zu unternehmen, damit die christlichen Kirchen auch am Tisch des Herrn Gemeinschaft haben können. Der aus dem Bistum Speyer stammende Neutestamentler an der Uni Löwen, Prof. Dr. Reimund Bieringer, ermutigte in seinem Vortrag beide Konfessionen dazu, die Bibel nicht nur historisch-kritisch zu interpretieren und als Spiegel zur Deutung der Gegenwart zu nutzen, sondern in ihr eine „Ikone“ zu sehen, „durch die Gottes Zukunft hier und heute in unser Leben eindringen und es verwandeln möchte“.

Text/Bild: Thomas Borchers