Dienstag, 25. April 2017
“Es gibt nicht den einen Islam“
Caritas-Zentrum Speyer richtet Seminar zum Thema „Christlich-islamischer Dialog“ für ehrenamtliche Mitarbeiter in der Flüchtlingsarbeit aus
Speyer. Die meisten Flüchtlinge, die in Deutschland Zuflucht suchen, sind Muslime. Aber was verbirgt sich genau hinter dem Islam? Welche religiösen und kulturellen Hintergründe bringen die muslimischen Flüchtlinge mit? Wie leben Muslime ihren Glauben? Welche Parallelen bestehen zwischen Christentum und Islam? Welche Haltung nimmt die katholische Kirche zum Islam ein? Mit diesen Fragen hat sich das Tagesseminar des Caritas-Zentrums Speyer am Samstag, 22. April, im Heinrich-Pesch-Haus auseinan-dergesetzt. Das Seminar richtete sich an Ehrenamtliche in der Flüchtlingshilfe.
Der Titel war Programm: „Die abrahahmischen Religionen: Was verbindet uns, was trennt uns? Eine Einführung in den christlich-islamischen Dialog“. Die Islamwissenschaftlerin Nora Kalbarczyk lieferte viele Informationen, die zum besseren Verständnis des Islam beitrugen und mit denen sich die Teilnehmer kritisch auseinandersetzten.
Eins wurde deutlich: Die Teilnehmer waren überrascht, wie vielschichtig und komplex der Islam ist. Denn: Es gibt nicht den einen Islam, verdeutlichte Nora Kalbarczyk. Je nach religiöser Strömung werde der Koran ausgelegt. Sie gab einen Einblick, welche Methoden die Gelehrten anwandten, um die Suren des Koran zu deuten und religiöse Regeln ableiteten. So gebe es vielschichtige Gründe, warum Frauen ein Kopftuch tra-gen, erläuterte die Wissenschaftlerin und führte weitere Beispiele an, etwa den Begriff Dschihad. „Man strengt sich an, man bemüht sich um eine Sache“, sei eine Deutung, „aber das Wort kann auch Kampf bedeuten“. Diskussionsstoff boten unter anderem Nächstenliebe, Scharia und die Stellung der Frau.
Teilnehmer Ashour Bahi wollte beim Seminar mehr über das Verschleierungsgebot und die Scharia erfahren. Der Christ flüchtete aus Syrien – in Deutschland hat er sich freiwillig als Übersetzer für andere Flüchtlinge eingesetzt. Interessant für ihn war, wie stark sich Islam und Christentum gleichen. „Beide Religionen glauben an den gleichen Gott, aber jede hat ihren Propheten, der sagt, wie die Verbindung zu Gott hergestellt wird.“ Die Veranstaltung hat Ashour Bahi aus einem weiteren Grund beein-druckt: „Ich bin überrascht, wie viele Menschen in Deutschland sich für den Islam interessieren und ihn verstehen wollen.“
Gerhard Flörchinger wurde von einem Flüchtling aus Somalia auf die großen Parallelen zwischen Islam und Christentum hingewiesen – das Seminar habe dies bestätigt, sagte er. Auch die Strukturen beider Religionen seien ähnlich, ergänzte seine Frau Irmgard. „Unterschiedlich ist, was die Kulturen daraus machen“, stellte Gerhard Flörchinger fest. Spannend fanden beide, wie unterschiedlich der Koran gedeutet wird und wie viele verschiedene islamische Strömungen bestehen. Auch dass die katholische Kirche schon beim Zweiten Vatikanischen Konzil in den 1960er Jahren sehr weitreichend zum Islam Stellung bezog, erstaunte sie. Das Paar, das sich im Asylkreis Harthausen engagiert, ist sich einig: Das Seminar hat dazu beigetragen, dem Islam mit einem anderen Verständnis zu begegnen – auch wenn beide in ihrer ehrenamtlichen Arbeit nur vereinzelt direkt mit Glaubensfragen in Berührung kommen. „Ich glaube, dieser Tag hat mich noch toleranter gemacht“, bilanzierte Irmgard Flörchinger.
Zentrumsleiter Pascal Thümling hatte die Veranstaltung eröffnet, die rund 35 Teilnehmer begrüßt und den Ehrenamtlichen für ihre Arbeit gedankt. Vieles sei bereits durch das ehrenamtliche Engagement erreicht worden, zollte er den Freiwilligen Respekt für ihre Leistung und ermutigte sie, die Schutzsuchenden nun bei den nächsten Schritten hinein in den Arbeitsmarkt zu begleiten. Thümling machte deutlich, dass das Seminar Verständnis für Andersgläubige wecken und ein Zeichen gegen populistische Tendenzen in der Gesellschaft setzen soll.
Das Seminar bestand aus Workshops und Vorträgen. In Gruppen setzten sich die Teilnehmer mit Thesen auseinander, ob und inwieweit in Deutschland lebende Muslime und Juden unsere Freiheiten und Rechte bedrohen, wie stark man sich als Fremder im eigenen Land fühlt oder ob die religiösen Gesetze in Scharia und Talmud mit Demokratie vereinbar sind. Zum Abschluss arbeiteten die Teilnehmer heraus, welche Informationen neu für sie waren, welche wichtig für die ehrenamtliche Arbeit, und zu welchen Themen weitere Infos notwendig sind. Obwohl die Runde sechs Stunden lang zuhörte und sich austauschte, reichte die Zeit nicht, um alle Fragen zu beantworten und tiefer in verschiedene Themen einzusteigen.
Islamwissenschaftlerin Nora Kalbarczyk, die für die Christlich-Islamische Begegnungs- und Dokumentationsstelle der Deutschen Bischofskonferenz (Cibedo) tätig ist, und Jack Catarata, Flüchtlingsberater im Caritas-Zentrum Speyer, leiteten das Seminar. Beide freuten sich, wie stark sich die Teilnehmer einbrachten. „Einige haben sich intensiv vorbereitet“, hat Catarata beobachtet. Die Teilnehmer hätten gute Fragen gestellt, über persönliche Erfahrungen berichtet, teilweise provokante Gegenthesen in den Raum gestellt. Sein Fazit: „Das Thema hat einen Nerv getroffen.“
Text/Foto: Yvette Wagner
