Montag, 08. Juli 2024
Beten zwischen den Fußball-Spielen
Der DA-ZWISCHEN-Gottesdienst spendet auch Fußball-Fans Trost – Ein Erfahrungsbericht von Parviz Khosrawi
Speyer. Es sollte etwas ganz Besonderes sein: ein Online-Gottesdienst zwischen den Fußball-Spielen Spanien-Deutschland und Portugal-Frankreich. Und ich muss ganz ehrlich zugeben: für mich war das erst mal ein komisches Gefühl. Ein Online-Gottesdienst? Den Gottesdienst kenne ich nämlich nur live in der Kirche. Oder vielleicht bei besonderen Angelegenheiten mal woanders, im Rahmen einer Veranstaltung oder irgendwo draußen unter freiem Himmel. Aber einen Online-Gottesdienst? Das hatte ich bisher noch nie gemacht. Dementsprechend neugierig war ich auch, wie das Ganze dann sein würde. Ich bin gerade in England und gucke das Fußball-Spiel Spanien-Deutschland auf dem Fernseher in meinem Hotelzimmer.
Eigentlich soll der Online-Gottesdienst um 20:15 Uhr beginnen, und etwa eine halbe Stunde dauern. Eben DA-ZWISCHEN. Zwischen dem Deutschland-Spiel und dem nächsten Highlight des Abends, dem Spiel Portugal-Frankreich, das um 21:00 Uhr startet. Doch es gibt Verlängerung. Es steht 1:1 und zweimal 15 Minuten Nachspielzeit werden angesetzt. Gegen kurz vor halb neun ist das Spiel zu Ende, Spanien schießt Deutschland aus der Europameisterschaft. Im Fernsehen die Bilder der niedergeschlagenen Spieler: Kroos, Müller, Neuer. Auf meinem Laptop blinkt plötzlich das Logo des DA-ZWISCHEN-Gottesdienstes auf. Die Online-Messe beginnt. In dem Moment, in dem ich immer noch in Schockstarre über das unerwartete Aus der Nationalmannschaft bin. Felix Goldinger leitet den Gottesdienst. Der 44-jährige aus Dudenhofen begrüßt die Leute, die jetzt gerade mit dabei sind.
Bereits im Vorfeld habe ich ihn gefragt, wie es eigentlich zu der Idee dieser außergewöhnlichen Messe gekommen ist: „Die Netz-Gemeinde DA-ZWISCHEN ist eine christliche Online-Community. Wir sind mit vielen Leuten unterwegs und kommunizieren über Messenger wie WhatsApp oder Telegramm.“ Und gerade am Tag eines Deutschland-Spiels findet Goldinger den Online-Gottesdienst wichtig: „Uns interessiert vor allem das, was im Alltag passiert und was das mit Gott zu tun hat. Und weil gerade jetzt im Alltag ganz viel Fußball passiert, suchen wir auch da nach den Spuren, wie Gott und Fußball sich verbinden.“
Und mit dieser Netz-Gemeinde und dem Online-Gottesdienst bin ich jetzt verbunden für die nächsten 30 Minuten. Es fühlt sich nah an, obwohl ich eigentlich etwa 1000 Kilometer entfernt bin. Auf meinem Laptop in meinem Londoner Hotelzimmer begrüßt mich Felix Goldinger mit einem freundlichen Lächeln. Er spricht sanft und einfühlsam. Fast schon beruhigend. Das Fußball-Drama regt mich schon gar nicht mehr auf, mein Puls wird wieder langsamer. Ich konzentriere mich ganz auf die beruhigenden Worte des Pastoralreferenten. Und der versucht, den zugeschalteten Gläubigen den Frust über die eben gesehene Niederlage zu nehmen.
Felix Goldinger stellt seinen Kollegen Christoph vor. Mit ihm moderiert er den Gottesdienst im gemischten Doppel. Doch vor dem ersten Gebet werden den Gläubigen zuerst Fußball-Fotos gezeigt. Bilder, die Emotionen auslösen und zeigen sollen, wie schön Fußball sein kann. Und vor allem: wie sehr Fußball das Gemeinschaftsgefühl stärken kann. Und eine starke Gemeinschaft, die wollen wir auch heute sein. Alle Zugeschalteten öffnen ihre Mikrofone; Felix Goldinger spricht das „Vater unser“ und alle sprechen mit. Es ist mein allererstes Online-Gebet. Mit wildfremden Menschen, die ich nicht sehen kann, weil bislang nur Felix Goldinger und sein Kollege auf dem Bildschirm erscheinen. Dann spielt Felix Goldinger den Song „You Will Never Walk Alone“ vor. Passend zur heutigen Situation. Und der Niederlage unserer Nationalmannschaft. Und jeder, der möchte, darf sich melden und sagen, was der eigene persönliche Fußball-Lieblingssong ist. Bei den Meldungen wird jeder, der spricht, im Videostream eingeblendet. So sehe ich jetzt auch erstmals ein paar der anderen Gläubigen. Aber es werden auch Zitate eingespielt, wie von Trainer-Legende Jürgen Klopp. Was dieser über seinen ganz eigenen Glauben sagte. Dann zeigt Felix Goldinger uns ein Foto der spanischen Nationalmannschaft. Sie haben beim Singen der Nationalhymne ihre Hand auf die Brust gelegt, an der Stelle, wo sich das Herz befindet. Und dieses Bild, mit der Hand auf dem Herzen, wurde jetzt als Symbolbild verwendet. Und wir werden aufgefordert, genau so das „Vater unser“ zu beten. Gemeinsam und mit der Hand auf dem Herzen. Es ist trotz der Entfernung ein gemeinsames Beten. Jeder legt die Hand aufs Herz und betet. Und dadurch soll jeder die große Kraft dieses Gebetes spüren. Es soll warm ums Herz werden. Es soll aufbauen. Es soll jeden Menschen berühren.
Als dieses Gebet vorbei ist, werden jeweils zwei Leute aus dem Online-Gottesdienst willkürlich zusammengeschaltet, um dann gemeinsam darüber zu sprechen, was sie bei diesem Gebet empfunden haben. Dazu werden die Gläubigen in einen „virtuellen Raum“ gebracht. Dort sind die beiden Teilnehmenden, die sich nicht kannten, ganz für sich. Zwei Fremde - zufällig ausgewählt. Die in diesem Video-Stream jetzt über ihre ganz persönlichen Gefühle sprechen. Und das ist auch für mich ein äußerst ungewohntes Gefühl – doch ich lasse mich darauf ein. In meinem virtuellen Raum ist eine ältere Dame. Ich weiß nicht einmal ihren Namen, aber wir unterhalten uns sehr gut und reden für zwei, vielleicht auch drei, Minuten. Über das, was wir bei diesem Gebet gespürt haben.
Nach einer kurzen Vorwarnung wird dann der virtuelle Raum wieder geschlossen und Felix Goldinger übernimmt das Wort. Dann werden erneut zwei Leute in dem nächsten virtuellen Raum miteinander verbunden. Ich bekomme wieder eine Dame als Gesprächspartnerin. Sie hat leider die Kamera ausgeschaltet, deswegen weiß ich nicht, wie sie aussieht oder wie alt sie ist. Ich schätze sie von der Stimme auf etwa 50 Jahre. Und in diesem Gespräch sprechen wir auch über die Bilder, die wir heute beim Fußball gesehen haben. Auch über unsere Emotionen, als das zweite Tor fiel. Aber auch hier ist die Zeit wieder viel zu schnell um.
Von meiner Wahrnehmung her sind die meisten Teilnehmenden des Online-Gottesdienstes weiblich und im mittleren Alter. Auch die Männer sind im mittleren Alter oder sogar älter. Und ich dachte eigentlich, der Online-Gottesdienst ist eher etwas für jüngere Leute. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Nur eine einzige Teilnehmerin wirkt für mich unter 30. Der Rest ist von meinem Gefühl her weit über 50 Jahre alt. Menschen, die ich auch vom Typ her im ganz gewöhnlichen Gottesdienst am Sonntag in der Kirche treffen würde.
Zum Schluss wurde uns dann noch der Segen Gottes mitgegeben, bezogen auf das heutige Fußballspiel. Felix Goldinger leitet diese Online-Gottesdienste aus Überzeugung: „Ganz egal, ob man jetzt Fußballfan ist oder nur neugierig ist, wie Sport und Glaube sich miteinander verbinden. Der Online-Gottesdienst DA-ZWISCHEN ist für alle offen. Und wir freuen uns über jeden, der dabei sein mag.“ Diese online Gottesdienste gibt es natürlich nicht nur während der Fußball Europameisterschaft. Sie finden regelmäßig einmal im Monat statt. Im August entfällt das Angebot wegen der Sommerpause, die nächste reguläre Ausgabe findet dann wieder im September statt.
Text: Parviz Khosrawi