Dienstag, 21. Oktober 2025
„Ökumene ist für mich etwas sehr Persönliches“
Interview mit Alexander Hunt-Radej, neuer Leiter der Stabsstelle Ökumene im Bistum Speyer
Speyer. Der 34-jährige Alexander Hunt-Radej hat zum 1. September die Position des Ökumene-Referenten im Bistum Speyer übernommen, nachdem seine Vorgängerin Susanne Laun in den Ruhestand gegangen war. Hunt-Radej hat in Frankfurt Katholische Theologie und Geschichte sowie Religionswissenschaft mit Schwerpunkt christliche Konfessionen studiert. Danach war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bonn, Fakultät Katholische Theologie, im Bereich Sakralraumtransformation tätig und beschäftigte sich dabei mit der Thematik ökumenischer Kirchenräume. Anschließend arbeitete Hunt-Radej an der Universität Frankfurt im Fachbereich Evangelische Theologie in der Religionspädagogik. Hier ist er auch weiterhin als Dozent tätig.
Im Interview erzählt Alexander Hunt-Radej von seiner Sicht auf die Ökumene und seinen neuen Aufgaben.
Was bedeutet Ihnen Ökumene ganz persönlich und was hat Sie dazu gebracht, in diesem Aufgabenfeld zu arbeiten?
Ich bin sehr eng der Orthodoxie zugewandt. Nicht nur aus Studiengründen, sondern auch persönlich, da ich lange Zeit mit einer serbisch-orthodoxen Familie groß geworden bin – der Vater eines sehr guten Freundes ist orthodoxer Priester. Man könnte also sagen: Ich habe Ökumene persönlich immer gelebt. Ich habe immer wieder mit Menschen zu tun gehabt, die eine andere Konfession hatten. Dabei gab es am Essenstisch nie ein „Ihr und Wir“. Dementsprechend ist Ökumene für mich etwas sehr Persönliches, aber es ist auch viel Verständnis- und Kommunikationsarbeit. Ökumene kann manchmal auch ein Kampf gegen Vorurteile, ein Ringen um eine Meinung sein, oder auch, sich gegenseitig einfach nur auszuhalten. Ich habe viele Gottesdienste im Ökumenischen Zentrum Christuskirche in Frankfurt, das sich mehrere Religionsgemeinschaften teilen, erlebt. Dabei habe ich bemerkt, dass viel Arbeit nötig ist, dass es klappt – aber wenn es mal läuft, wenn die Barrieren fallen, dann ist das so fruchtbar.
Auch während meiner Studienzeit habe ich mich in verschiedenen Projekten mit dem Thema befasst, ich habe zum Beispiel ein orthodoxes Newsportal betrieben. 2019 wurde ich in die Ukraine eingeladen und durfte dort von dem Kirchenstreit zwischen russisch-orthodoxer und ukrainischer Kirche berichten.
Worin liegt Ihre neue Aufgabe genau – ist es auch dafür zu sorgen, dass die Barrieren fallen?
Natürlich geht es unter anderem darum, Kontakt aufzunehmen und zu halten, sich gegenseitig die Hände zu reichen. Wir leben in einer Welt, wo das Christentum sich ein Stück weit zurückzieht, weil immer weniger Menschen Berührungspunkte mit Kirche haben. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Konfessionen, die wachsen. Und da finde ich es wichtig, sich auch auf spiritueller Ebene zu begegnen. Das Miteinander in den Blick zu nehmen und sich zu überlegen, wie wir gemeinsam gehen, oder auch, wie wir gemeinsam beten können. Da gibt es ganz viele Möglichkeiten.
Welches Ziel möchten Sie mit der Ökumene-Arbeit im Bistum Speyer erreichen?
Ich möchte eine große Annäherung schaffen, indem wir miteinander Formen entwickeln und pflegen, um den Weg gemeinsam zu gehen. Ich sage immer gerne: Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen. Und mein Wunsch ist, wenn wir in dieses Haus ziehen, dass wir uns eben nicht die Köpfe einschlagen, sondern uns anerkennen, mal beieinander klingeln, in den Austausch gehen, fragen, ob man gemeinsam etwas unternehmen möchte. Mein Ziel ist also sozusagen, dass wir uns einfach mal trauen, auch mal zu klingeln.
Sie haben ja bereits erste Einblicke in die Ökumene auf Ebene des Bistums und der Landeskirche gesammelt: Was läuft gut, und was halten Sie noch für ausbaufähig?
Eine Stärke ist, dass hier im Bereich Ökumene schon viel passiert ist, sei es ein ökumenischer Leitfaden oder die Gebetswoche zur Einheit der Christen, an das man anknüpfen kann. Ökumene ist hier auf Ebene des Bistums und der Landeskirche schon sehr weit vorangeschritten. Ein großer Vorteil ist ja auch, dass die geografischen Flächen von beiden fast deckungsgleich sind.
Ökumene bedeutet aber auch viel Arbeit, und das gerade aktuell, wo sich viel verändert. Hier sehe ich eine neue Herausforderung, die wir langsam angehen müssen. Wir müssen überlegen, wer wir sind, was wir tun, aber auch, was die anderen machen. Und dann können wir uns treffen, um zu schauen, wo und wie wir uns verknüpfen können.
Ökumenischer Leitfaden, Gebetswoche, … – Es gibt bereits einige ökumenische Initiativen und Angebote. Welche davon halten Sie für besonders tragfähig?
Als erstes möchte ich hier „Aufstehen für…“ nennen, weil es im Grunde genommen die Kirchen oder die Konfessionen wieder in die Mitte der Gesellschaft bringt. Nächstenliebe ist unglaublich wichtig, und das Aufstehen bzw. das Einsetzen für Minderheiten, gegen Diskriminierung und Ungerechtigkeit – das kann Kirche sehr gut leisten. Auch den Leitfaden, der 2015 entwickelt wurde, finde ich tragfähig. Hier benötigt es aber nochmal einen neuen Blick darauf, weil sich in den Kirchen aktuell viel verändert. Aber schon allein das Potential, dass wir überhaupt so einen Leitfaden haben, das ist ein so großer Schatz, auf dem man aufbauen kann. Aber auch die Bewahrung der Schöpfung und die Kirche im Anthropozän finde ich wichtig und muss von Kirchen ökumenisch betrachtet werden.
Blicken wir mal über die Landeskirche hinaus: Welche weiteren Kirchen hier in der Region wollen Sie bei Ihrer Arbeit in den Blick nehmen?
Ich habe es ja schon anklingen lassen, auf jeden Fall die orthodoxen oder orientalischen Kirchen, zum Beispiel die syrischen, ukrainischen, eritreischen oder äthiopischen Christen. Gerade hier in Rheinland-Pfalz ist mir aufgefallen, dass wir in diesen Kirchen eine schnell wachsende Bevölkerung haben, zum Beispiel die Zahl der rumänischen Christen nimmt stark zu. Da fallen aber auch die Griechisch-, die Serbisch- oder die Russisch-Orthodoxen darunter. Ich sehe darin viele Gesprächsmöglichkeiten und auch sehr viele offene Chancen. Einfach mal so in die Luft gesagt, man könnte sich zum Beispiel ja auch Kirchen teilen – Orthodoxe suchen Gottesdiensträume und wir haben eine Möglichkeit, wir haben Kirchen. Und dadurch entsteht dann auch wieder Annäherung.
Was denken Sie, wie wird sich die Ökumene in Zukunft entwickeln?
Zuerst: Die Kirchen müssen sich aufeinander zubewegen. Zweitens: In einer Welt, in der die Menschen immer mehr in Konkurrenz miteinander treten, werden die Kirchen immer ein Ort sein, wo man sich begegnen kann. Und das wird ökumenisch sein müssen, und das muss in den nächsten Jahren, vielleicht Jahrzehnten, nochmal stärker in den Blick genommen werden. Vielleicht werden sich auch Gottesdienstformen wandeln, das weiß man nicht. Aber auf jeden Fall kann man auch neue gemeinsame Gottesdienstformen finden, indem man sich die Hand reicht. Wir werden uns auch nicht alle einen Kirchenraum leisten können, und wenn wir uns da zusammentun, wäre das ja schon mal nichts Schlechtes.
Generell wird es immer Fragen geben, in denen Kirche sich einbringen kann. Und diese Fragen ökumenisch zu beantworten, wenn wir mit unterschiedlichen Blickwinkeln auf unseren Glauben blicken, macht das ganze nochmal interessanter. Wir können unglaublich viel voneinander lernen und müssen offen dafür sein, dass etwas Neues entstehen kann.
Das Interview führte Katharina Kiesel.