Montag, 28. August 2023
Zuhören und für andere Dasein – Das etwas andere Ehrenamt

Das ökumenische Leitungsteam: Astrid Martin, Ursula Adam und Peter Annweiler (von links). Foto © Telefonseelsorge
Rund 1,5 Millionen Menschen in Rheinland-Pfalz engagieren sich ehrenamtlich für die gute Sache. Wie wichtig ihre Arbeit ist, will das Land am 03. September mit dem großen Ehrenamts-Tag im pfälzischen Haßloch würdigen. Klar ist: Ohne Ehrenamt würden viele Bereiche unseres Lebens nur sehr schwer oder gar nicht funktionieren – sei es in Sport, Kultur, Tierschutz, Gesundheit oder in der Kirche.
Bei der Ökumenischen Telefonseelsorge Pfalz begleiten 85 ehrenamtlichen Mitarbeitende viele Menschen durch persönliche Krisen und Schicksalsschläge. Zusammen mit seinen Kolleginnen Ursula Adam und Astrid Martin vom Bistum Speyer leitet Pfarrer Peter Annweiler von der Evangelischen Landeskirche die Ökumenische Telefonseelsorge Pfalz. Er berichtet über die Besonderheiten dieses Ehrenamts.
Das Interview führte John Seegert.
Herr Annweiler, wie wichtig sind Ehrenamtler für die Telefonseelsorge?
„Die ehrenamtlichen Mitarbeitenden sind von Anfang an ‚Kern und Stern‘ der Telefonseelsorge. Die Telefonseelsorge gibt es seit mehr als 60 Jahren in Deutschland ein Angebot, das von Anfang an für und mit Ehrenamtlichen aufgebaut worden ist. Wir bilden unsere Ehrenamtlichen gut aus, wir bieten Fortbildungen und Supervision für sie an. Ich bin immer wieder erstaunt über das Engagement, das unsere Mitarbeitenden zeigen, weil sie so eine sinnvolle Tätigkeit ausüben.“
Nun gibt es viele Bereiche, in denen es immer weniger Ehrenamtliche gibt – zum Beispiel Sport- oder Musikvereine – wieso ist das bei der Telefonseelsorge anders?
„Ich glaube, es erfüllt einfach uns Menschen, wenn wir hilfreich für andere sein können. Das gelingt den Ehrenamtlichen, indem sie niedrigschwellig da sind, indem sie gut ausgebildet sind und vor allem erstmal zuhören. Und das wird von Ratsuchenden sehr geschätzt.“
Was muss jemand mitbringen, der sich ehrenamtlich in der Telefonseelsorge engagieren möchte?
„Ein bisschen Lebenserfahrung sollte man mitbringen und darüber hinaus die Neugier sowie das Interesse an anderen. Sich in fremde Lebenswelten hinein zu versetzen ist eine der Hauptaufgaben, die man in einem Gespräch mit Ratsuchenden hat – und nicht sofort mit eigenerdachten Lösungsvorschlägen zu kommen. Es geht darum, sich zurück zu nehmen und das auch zu lernen. Darum trainieren wir unsere Ehrenamtliche, dass es eher ums Zuhören und Dasein geht und nicht darum, Ratschläge zu geben.
Was erleben Ihre Mitarbeitenden bei ihrer täglichen Arbeit? Mit welchen Problemen werden sie konfrontiert?
„Wir haben ein sehr breites Spektrum an Anrufenden und Ratsuchenden: Von jungen Leuten, die vor allem via Chat unseren Rat suchen, wo es um Liebeskummer, Beziehungsthemen, Versagensängsten oder Mobbing in der Schule geht, bis hin zu alten Menschen, die einsam sind. Wobei Einsamkeit allgemein ein großes Thema ist, nicht nur bei alten Menschen: In einer ‚plappernden Gesellschaft‘ fällt es immer wieder auf, dass es viele Menschen gibt, die ohne wirkliche Gespräche und ohne wirkliche Kontakte leben. Sie melden sich dann manchmal einfach nur bei uns, um zu sagen: ‚Ich muss einfach mal am Telefon eine Stimme hören.‘ Natürlich gibt es auch die ganz konkreten Anlässe, dass jemand bei der Arbeit, in der Schule, im beruflichen Alltag oder im Privatleben ein Thema hat, mit dem er oder sie nicht fertig wird.“
Und da gibt es keine Einschränkungen, dass ein Problem erst „groß genug“ sein muss, um sich bei Ihnen melden zu können?
„Bei uns sind alle willkommen. Die Leute nehmen die Schwelle auch ganz bewusst und sagen sich: ‚Ich trau mich jetzt mal, bei der Telefonseelsorge anzurufen.‘ Oftmals haben die Menschen dann schon im Familien-, Freundes- oder Bekanntenkreis über ihr Anliegen gesprochen und dann kommt oftmals der Punkt, an dem sie mit jemand Neutralem sprechen wollen. Jemand, der eben nicht sagt: ‚Sag doch nicht so dumme Sachen‘ oder ‚Draußen scheint doch die Sonne‘. Die Anrufenden wollen mit jemandem sprechen, der sich mit der Thematik auseinandergesetzt hat, der auch bereit ist, suizidale Gedanken erstmal anzunehmen. Diese Gedanken sind eben einfach da, ich kann sie nicht weg reden, ich kann sie nur vielleicht in einen anderen Kontext setzen und sie so weiterführen.“
Bleiben wir in dem Szenario - wie kann der oder die Ehrenamtliche am Telefon jemandem helfen, der anruft und sagt: „Ich kann nicht mehr, ich will mir das Leben nehmen“ ?
„An einem solchen Punkt gibt es natürlich kein pauschales Rezept. Eine Art ‚Einstiegspfad‘ in ein solches Gespräch ist aber immer wieder, dass man den Anrufenden mit Empathie und Respekt begegnet und sie sich in ihrer Situation mit all ihren Problemen gesehen fühlen. Am Ende solcher Telefonate sind die Menschen dann tatsächlich nicht mehr so nah dran, mit diesen schweren Gedanken, sich das Leben zu nehmen, wie am Anfang des Gesprächs. Sie haben durch die Zuwendung erlebt, wie sich eine Perspektive weiten kann – vielleicht nicht für immer, aber auf jeden Fall für diesen Moment, diese Nacht oder diesen Tag. Darum ist die Telefonseelsorge so wichtig: Es gibt kaum eine andere Einrichtung, die rund um die Uhr erreichbar ist, sodass jederzeit ein Gespräch möglich ist.
Wie verabschiedet man sich dann nach so einem Gespräch? Wenn mir das als Betroffener geholfen hat, kann ich dann ein weiteres Telefonat mit Ihnen verabreden?
„Diese Gespräche sind als einmalige Gespräche angelegt, denn wir machen keine Therapie. Wir bieten ein niederschwelliges Gesprächsangebot rund um die Uhr an, können erste Schritte mit Betroffenen gehen und können natürlich auch Adressen und Kontakte nennen, an die man sich wenden kann. Da geht es von der Vermittlung von Telefonnummern bis hin zum Rat, die 112 zu wählen, wenn jemand eingewiesen werden will.“
Wie haben sich denn die Anrufzahlen in den vergangenen Jahren verändert? Gerade im Hinblick auf Corona, Ukraine-Krieg und ähnliche Ereignisse?
„Die Telefonseelsorge ist immer sowas wie ein Seismograph. Wir merken sehr genau, was in der Gesellschaft gerade los ist. Dabei sind wir meistens so gut ausgelastet, dass es gar nicht möglich ist, beispielsweise doppelt so viele Anrufe anzunehmen. Was die Themen angeht, können wir aber sagen, die Themen Einsamkeit und Stabilität von Beziehungen von den Erfahrungen, die während der Pandemie gemacht wurden herrühren. Es ist ein Alarmzeichen für die Gesellschaft, dass es offenbar immer weniger Bindung gibt und weniger Beziehungen, die Menschen von diesem Einsamkeitsgefühl abhalten.“
Nun sind Sie schon eine ganze Weile dabei, welche Art von Anrufen nimmt Sie denn persönlich besonders mit?
„Also ich darf natürlich im Sinne der Anonymität nichts von einzelnen Anrufen berichten, aber ich kann einen Typus von Ratsuchenden beschreiben. Was mir immer sehr nahe geht sind Gespräche mit Jugendlichen, die zuhause Gewalt erleben. Wenn das bei uns aufschlägt, versuchen wir mit den jungen Menschen erstmal die Situation wahrzunehmen, achtsam damit umzugehen und dann weitere Schritte zu überlegen.“
Wie verhindern Sie und Ihre Mitarbeitenden, dass Sie nicht selbst getriggert werden durch bestimmte Anrufsituationen?
„Indem man gut ausgebildet wurde und genau weiß, wo seine eigenen schwierigen Punkte liegen. Die Ehrenamtlichen wissen im Zweifel, dass sie im Extremfall sagen können: ‚Es tut mir leid, ich kann das Gespräch jetzt nicht führen, weil mir das Thema zu nahe kommt‘ – vielleicht auch, weil es ein persönliches Thema ist. Deswegen sind die Ausbildung, die Supervision und die Begleitung der Mitarbeitenden so wichtig.“
Wenn ich mich nun für die ehrenamtliche Arbeit bei der Ökumenischen Telefonseelsorge Pfalz interessiere – wie kann ich mich bei Ihnen bewerben?
„Wir fangen unseren nächsten Ausbildungskurs Ende Januar 2024 an. Im November wird es einen Infoabend geben. Informationen finden Interessierte auf unserer Website. Dort können sich jede und jeder bewerben und auch schon Kennenlerngespräche ausmachen. Wir freuen uns über neue Mitarbeitende.“
Schauen wir auf die andere Seite der Telefonleitung: Wie erreiche ich Sie in einer Krisensituation?
„Es gibt eine bundesweite Rufnummer, das ist die 0800 – 111 0 111, die wird bundesweit von jedem Handy und jedem Festnetzanschluss zugestellt. Über unsere Website telefonseelsorge.de können wir auch Chats und Mails beantworten. Darüber hinaus haben wir seit einigen Jahren eine Telefonseelsorge-App, den ‚Krisen- Kompass‘: Das ist quasi der Notfallkoffer für die Hosentasche – mit Ratschlägen für schwierige Situationen, Entspannungstechniken, Fantasiereisen. Außerdem gibt es zwei andere Kapitel und Überschriften in der App für Menschen, die sich um jemanden sorgen, der Suizidgedanken hat oder für Menschen, die jemanden durch Suizid verloren haben. Alles in allem ein sehr wertvolles Werkzeug.“
Die Angebote der Telefonseelsorge Pfalz:
Telefon: 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222
Chat/Mail: online.telefonseelsorge.de
Webseite: www.telefonseelsorge-pfalz.de
App: Krisen-Kompass im App Store oder im Google Play Store
Das Interview mit Peter Annweiler läuft in der Sendung "RPR1 Einfach himmlisch" am 3. September ab 6.00 Uhr auf RPR1.