Dienstag, 22. Februar 2022

„Nur eine lernfähige Religion hat Zukunft!“

Pfr. Dr. Dr. Stefan Seckinger 

Interview mit Hochschulseelsorger Pfr. Dr. Dr. Seckinger

Kaiserslautern. Die Katholische Hochschulgemeinde an der Technischen Universität Kaiserslautern ist Treffpunkt für Studierende, Lehrende, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hochschule. Zu den Angeboten zählen neben Gottesdiensten, Exkursionen und geselligen Treffen auch Vortragsreihen. Im gerade zu Ende gegangenen Semester hat der katholische Hochschulseelsorger Stefan Seckinger im Rahmen einer Reihe zum Thema „Religionen“ über die Ursprünge, die psychologische Komponente und die „Zukunft der Religion(en)“referiert.  In einem Gespräch berichtet er über die Themenwahl und das Angebot der Hochschulgemeinde.

Warum haben Sie gerade diese Themen ausgewählt?

Weil die Krise der Kirche für mich eine Frage der religiösen Weltsicht ist. Das wird auf dem Universitätscampus schnell klar. Ich kann mit Studierenden über kirchenkritische Themen sprechen und viele würden den gängigen Änderungsvorschlägen zustimmen - aber attraktiv wird für sie der Glaube dadurch noch lange nicht! Die entscheidende Frage ist, was hat eine Religion zu bieten, was es nicht an anderer Stelle bereits hinlänglich gibt? Da fällt mir etwa die Sinn- und Wertefrage ein, aber auch die Frage nach Vergebung und dem begrenzten Leben mit seinen begrenzten Möglichkeiten. Religiöse Menschen glauben an ihre Erlösung als ein Geschenk von Gott, sie brauchen diese nicht auf Kosten anderer zu erzwingen. Sich zurückzunehmen, auf die eigene Seele zu achten, ist gerade in Zeiten der Ökonomisierung des Lebens auf Kosten der Solidarität und Umwelt, der Orientierung an Leistung auf Kosten der eigenen Gesundheit und Familie ein Standpunkt, der vom religiösen Glauben inspiriert, ja geradezu eingefordert wird. Hinzu kommt, dass ich als Psychologe daran interessiert bin, welche Bedürfnisse hinter bestimmten Glaubensvorstellungen stehen, ob diese positiv von der Religion aufgegriffen werden oder ob eine bestimmte religiöse Sichtweise auch krankmachend sein kann. Ich persönlich halte eine religiöse Welt- und Werteeinstellung als sehr entlastend und insofern geradezu gesundheitsfördernd.

Welche Rolle spielt Religion im Hochschulleben?

Wir können als Katholische Hochschulgemeinde hier nur Fuß fassen, wenn wir die Logik der Hochschulen bedienen, die keine bestimmte Glaubensgemeinschaft bevorzugen können. Gerade weil wir in Kaiserslautern mit allen religiösen Hochschulgruppen zusammenarbeiten, haben wir ein gutes Standing. Von meiner protestantischen Kollegin habe ich gelernt, dass ‚Ökumene‘ (nach evangelischem Verständnis) nicht nur eine Angelegenheit zwischen Konfessionen oder Religionen ist, sondern den Dialog mit allen meint. Je mehr wir interkonfessionell arbeiten, je stärker wir interreligiös auftreten, desto besser ist unsere Position gegenüber jenen, die mit Religion nichts (mehr) anzufangen wissen (und deren Zahl nimmt hierzulande dramatisch zu). Da wir an der TU Kaiserslautern Teil von ‚Diversity‘ sind, sind wir auch willkommen - das ist allerdings keine Selbstverständlichkeit und bei weitem nicht überall an deutschen Hochschulstandorten der Fall.

Vor diesem Hintergrund gehen wir hier einen konsequenten ökumenischen Weg. Die Einweihung einer neuen Räumlichkeit für die ‚Campusseelsorge‘ direkt neben dem Sitz des Präsidenten der TU Kaiserslautern wäre undenkbar ohne diese Bereitschaft, uns auch interreligiös und interkulturell zu engagieren. Das Konzept geht bisher sehr gut auf. In unseren ‚Ökumenischen Universitäts- und Hochschulgottesdiensten‘ predigten in den letzten Semestern (u.a.) der Präsident der TU Kaiserslautern, der Präsident der Hochschule Kaiserslautern, der Oberbürgermeister und die Bürgermeisterin der Stadt Kaiserslautern, unser Bischof und der Kirchenpräsident der evangelischen Kirche der Pfalz. Wir sind von Relevanz!

Wie sieht Ihr Fazit aus - haben Religionen eine Zukunft?

Ich persönlich bin da sehr entspannt. Die weltweiten Statistiken geben keinen Grund zur Resignation. Es gibt eine Tendenz, dass besonders der Islam weiter stark wachsen wird, aber auch das Christentum wächst und wird wohl (so Prognosen bis 2050) in etwa seinen prozentualen Anteil an der Weltbevölkerung halten.  Kleinere (v.a. ethnische) Religionen werden es in Zukunft schwerer haben. Ich glaube außerdem, dass die Religionsökumene der Konfessionsökumene Beine machen wird. Deswegen ist es gerade bei uns in Deutschland wichtig, die ökumenischen (interreligiösen wie interkonfessionellen) Möglichkeiten voll auszuschöpfen und sich nicht auf das zu konzentrieren, was (noch) nicht geht.

In meiner Wahrnehmung fokussieren wir in Deutschland zu sehr den Abwärtstrend. In der KHG Kaiserslautern kommen zu den Treffen manchmal an die 10 Nationen zusammen (etwa Studierende aus Indonesien, Ruanda, Indien, Kamerun, USA, Polen, Frankreich etc.). Da haben wir es als katholische Weltkirche gewiss einfacher als die Evangelische Studierendengemeinde, in der dafür aber viele Nichtchristen leichteren Zugang finden. Beides ist für einen interkulturellen und interreligiösen Austausch wichtig. Besonders wertvoll finde ich bei den zahlreichen Gesprächen relativierende Sichtweisen zur Wahrnehmung der kirchlichen Situation in unserem Land. Andernorts ist Kirche im Aufschwung und bei dem relativ hohen Anteil Studierender aus dem Ausland erfahre ich in der KHG gelebte, kompakte Weltkirche, die sich durchaus vital und zukunftsfähig zeigt.

Zudem nehme ich wahr, dass Religionen nicht automatisch durch Bildung schwinden. In Gesprächen mit vielen Hochschulprofessor*innen, die größtenteils sehr gerne bei uns eine Kanzelpredigt übernehmen, erfahre ich, dass sich Glaube und Vernunft nicht widersprechen müssen. All das stimmt mich optimistisch. Die religiöse Fragestellung nach etwas, das über das Materielle hinaus dem vulnerablen und endlichen Leben Sinn und Orientierung gibt, wird so schnell nicht verschwinden. Hier müssen wir als Kirche ansetzen, wenn das Christentum eine Zukunft haben soll.

Welchen Themenschwerpunkt haben Sie für das nächste Semester geplant?

Wir sind gerade dabei, das nächste ökumenische Programm für das Sommersemester zu planen. Dabei versenden wir eine Rundmail an alle Angehörigen der TU Kaiserslautern, um sie einzuladen, mit darüber abzustimmen, welches das Semesterthema sein soll. Das Ergebnis lautet: ‚Gesund an Leib und Seele‘. Es geht also um mentale, seelische und körperliche Gesundheit, um eine gesunde Work-Life-Balance. Offensichtlich gibt es bei den Studierenden in diesem Bereich zurzeit den größten Bedarf. Dabei freue ich mich natürlich auch, dass wir hier als Gesprächspartner gesucht sind und angefragt werden.

Schwerpunkte werden verschiedene Themenabende sein, zu denen wir kompetente Gäste einladen. Auch Themen wie ‚Tiere als Partnerersatz‘, ‚Musik und Alzheimer-Erkrankung‘, Quantenphysik und ein Kunstprojekt zum Thema Nachhaltigkeit werden wir anbieten (allesamt von Studierenden selbst vorbereitet).

Außerdem freuen wir uns besonders auf die Kanzelprediger*in Herrn Dr. Justin Fischer (Betriebsarzt der TU Kaiserslautern mit dem Thema: ‚Gesundheit und Religion‘) und Frau Prof. Dr. Hornung (ebenfalls TU Kaiserslautern/Didaktik der Chemie mit dem Thema Nachhaltigkeit). Den ‚Akademischen Gesprächsabend‘ für Lehrende wird Frau Prof. Dr. Spraul (TU Kaiserslautern/Betriebswirtschaftslehre/Sustainability) gestalten.

Wie war und ist die Resonanz auf das Angebot der Hochschulgemeinde?

In Zeiten der Pandemie etwas schwieriger als sonst, da wir als Hochschulgemeinde natürlich vor allem von der Präsenz leben. Da durften wir uns in letzter Zeit kreativ weiterentwickeln. Instagram und Chatgruppen sowie diverse online-Angebote werden gut angenommen. Wichtig ist uns aber auch die zuverlässige, wöchentliche Eucharistiefeier. Wir wollen unsere religiös-kirchliche Identität nicht aufgeben, was nicht wenigen unserer Studierenden sehr wichtig ist. Die Resonanz ist natürlich auch abhängig vom Format der Angebote. Eine Taizéfahrt begeistert anders und teilweise andere als jene, die mit nach Paris oder in den Schwarzwald wollen. Vorträge interessieren nicht unbedingt Studierende, die nach dem Gottesdienst lieber etwas zusammen spielen würden. Wichtig ist uns, auf die Interessen der jungen Menschen einzugehen. Wir wollen Heimat sein - nicht nur für ausländische Studierende, die teilweise nicht einmal über Weihnachten nach Hause kommen, sondern für alle, die sich durch religiös-existenzielle Fragen packen lassen.

Für das Angebot der Vorträge zu den Religionen, welches in Kooperation mit der Katholischen Erwachsenenbildung im Bistum Speyer (KEB) und der Evangelischen Arbeitsstelle Bildung und Gesellschaft (also auch auf dieser Ebene ökumenisch) erfolgte, hatten wir uns für eine Hybrid-Veranstaltung entschieden: Die Studierenden verfolgten das Ganze in der KHG, während online Interessierte von überall her und jeglichen Alters teilnehmen konnten. Gerade der letzte Abend war sehr gut besucht und auch den Austausch im Anschluss an den Vortrag fand ich sehr bereichernd.

Was/wen möchten Sie mit Ihrem Angebot erreichen? Was macht die Hochschulseelsorge aus?

Zuweilen spricht man von der Hochschulseelsorge als ‚Kategorialseelsorge‘, die im Gegensatz zu einer Pfarrgemeinde nur eine bestimmte Zielgruppe im Auge habe. Das ist nicht mein Verständnis. Schon dem Namen nach sind wir keine reine Studierendengemeinde. Bei uns ist jeder willkommen, vor allem natürlich junge Erwachsene. Zweifellos ist unsere Gemeinde eine Alternative zu den pfarrlichen Angeboten, was schon das Durchschnittsalter verrät, vor allem aber die Kreativität in den Gottesdiensten betrifft. Es geht eben auch anders. Ich habe das schon als Schulpfarrer erfahren dürfen. Die Arbeit mit jungen Menschen ist nicht nur ein Privileg für mich als Seelsorger, sondern auch eine Frage der Zukunft der Kirche. Hinzu kommt der akademische Diskurs, den ich durch Lehrveranstaltungen im Bereich Ethik auch an der Universität mitgestalten darf. Es ist für mich persönlich wichtig, im System der Universität verankert zu sein und mich daran messen zu lassen, wie plausibel mein Auftrag hier von der Institution wahrgenommen wird, zu der ich gesandt wurde.

Erreichen möchte ich natürlich alle - was nicht gelingt. Aber der Anspruch bleibt. Den umgekehrten Blick will ich aber genauso betonen: erreichbar zu sein. Ich fühle mich deswegen an der Universität so wohl, weil es hier nicht darum geht, zu ‚missionieren‘, sondern zu lernen, hinzuhören, sich zu entwickeln. Womit wir noch einmal bei der Frage nach der Zukunft von Religionen sind: Nur eine lernfähige Religion hat Zukunft!

Weitere Informationen:
https://www.khg-kl.de

Instagram: khg.kaiserslautern