Montag, 07. Februar 2022

Plädoyer für die Rückbesinnung auf den Auftrag der Kirche

Bischof Dr. Michael Gerber (Mitte) bei der Versammlung des Klerusvereins mit Bischof Wiesemann (links) und Dekan Kapolka. 

Bischof Dr. Michael Gerber referiert am Nardinitag bei der Versammlung des Klerusvereins

Pirmasens. Besondere Situationen fordern manchmal eine Planänderung. Dieser Ausgangspunkt, den Bischof Dr. Michael Gerber aus Fulda seinen Überlegungen beim Vortrag am diesjährigen Nardinitag zugrunde legte, wirkte sich schon äußerlich auf die Gestaltung des Tages aus. Trotz Pandemie war eine Zusammenkunft der Diakone und Priester des Bistums am Gedenktag des Seligen Paul Josef Nardini (27. Januar) möglich. Auf persönlichen Austausch und Begegnungsmöglichkeiten musste zwar weitgehend verzichtet werden, jedoch konnte der Festvortrag innerhalb der feierlichen Vesper, der der Speyerer Bischof Wiesemann vorstand, in der Pirminskirche stattfinden.

Zu Beginn der Vesper, zu der über 40 Priester und Diakone sowie zahlreiche Ordensschwestern und Gläubige aus der Pfarrei Pirmasens gekommen waren, begrüßte Dekan Michael Kapolka (Schönenberg-Kübelberg) die Mitfeiernden. In seiner Funktion als Vorsitzender des Klerusvereins, der zu diesem Tag eingeladen hatte, dankte er insbesondere den anwesenden Bischöfen und weiteren Vertretern der Speyerer Bistumsleitung, Generalvikar Sturm und Ordinariatsdirektorin Christine Lambrich, für deren Kommen.

In seinem Vortrag ging Bischof Gerber von der Beobachtung aus, dass auch Jesus im Evangelium sich auf spontane Planänderungen einlässt. Die Begegnung Jesu mit Zachäus zeigt: Jesus lässt sich von dessen Situation berühren, verwirft seinen ursprünglichen Tagesplan und sagt: „Heute muss ich in deinem Haus zu Gast sein“ (vgl. Lk 19,5). Ganz im Sinne Jesu handelte auch Paul Josef Nardini, als er 1851 nach Pirmasens kam. Er hatte vermutlich feste Vorstellungen und Pläne für seine Aufgabe als Pfarrer. Berührt von der sozialen Not und dem Leid der Menschen vor Ort, ließ er sich auf deren Schicksal ein. In der Begegnung als Gast bei den Pirmasensern wurde er geprägt von den aktuellen Bedürfnissen.

Der Fuldaer Bischof stellte daraufhin die Frage an die Zuhörer: „Prägt uns heute, was wir an Leid und Not erfahren? Und bin ich zu Gast bei den Bedürftigen und führe Gespräche auf Augenhöhe mit den Betroffenen?“

Um seine These zu verdeutlichen, verwies Gerber auf die Situation der christlichen Urgemeinde, wie sie in der Apostelgeschichte (Kap. 6) dargestellt wird. Die Apostel erleben eine Überforderung: Die Verkündigung des Evangeliums nimmt ihre ganze Zeit in Anspruch, sodass die Versorgung von Notleidenden nicht mehr gewährleistet werden kann. Daraufhin schaffen sie das Amt der Diakone, die sich hauptsächlich der karitativen Arbeit widmen. Auch hier sieht Bischof Gerber eine Parallele zu Nardinis Situation im 19. Jahrhundert, der der Not seiner Tage mit der Gründung einer Schwesterngemeinschaft begegnete.

Noch eine weitere Verbindungslinie lässt sich ausgehend von der Apostelgeschichte in unsere Gegenwart ziehen: Einer der sieben Diakone der Urgemeinde war der erste Märtyrer Stephanus. Dessen Steinigung löste ebenfalls eine schwere Krise aus, da die kleine Christengemeinde nach dessen Tod aus Jerusalem zerstreut wurde. Damit musste sie viele Erwartungen und tradierte Vorstellungen aufgeben, die die erste Generation der Christen geprägt haben: Jerusalem als Ort der Wiederkunft Christi, Mittelpunkt des religiösen Weltbildes und Ausgangspunkt der christlichen Sendung wird infrage gestellt. Wichtig in dieser Krisenzeit wird die Rückbesinnung auf den Wesenskern und den Auftrag der Kirche: Entscheidend ist nicht die Bindung an den Ort, sondern die Verkündigung des Evangeliums. Diese Unterscheidung nennt Bischof Gerber die Unterscheidung von „Form“ und „letztem Ziel“ in Anlehnung an die Exerzitien des heiligen Ignatius von Loyola, sie ist auch für die heutige Situation der Kirche wichtig. Sie lässt die Frage aufkommen, wovon wir leben: Aus welchem Wort des Evangeliums und aus welchen Erfahrungen (der Nöte der Menschen) leben wir – und sind wir bereit, uns auf Wegänderungen einzulassen?

Für diese ermutigenden Worte dankten am Ende der Vesper nochmals Bischof Wiesemann und Dekan Michael Kapolka. Auch unter den eingeschränkten Möglichkeiten, die die Corona-Lage zuließ, wurde deutlich, welche Inspiration aus der Heiligen Schrift für Krisenzeiten entspringt und das Leben des seligen Paul Josef Nardini auch für die gegenwärtige Lage der Kirche bietet.

Text: Kaplan Peter Heinke/Foto: Thomas Ott