Freitag, 24. Oktober 2025

Tanzen und singen gegen depressive Phasen

„Rote Lippen soll man küssen“ ist ein Evergreen, der im Tanzcafé Vergissmeinnicht immer gerne gehört wird. Dazu wird natürlich auch getanzt. 

20 Jahre Tanzcafé Vergissmeinnicht im Caritas-Altenzentrum St. Anton

Piirmasens. Der erste Donnerstag im Monat ist im Caritas-Altenzentrum St. Anton reserviert. Für mindestens einen Tanz. Dazu gibt es Kaffee, Kuchen, Live-Musik und gut gelaunte Menschen. Diese Zutaten braucht es, um eine Erfolgsgeschichte zu schreiben. Die Erfolgsgeschichte des Tanzcafés Vergissmeinnicht. Seit 20 Jahren können Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen im Tanzcafé einen entspannten Nachmittag verbringen.

Es duftet nach Kaffee. Auf Servierwagen wird ein großes Kuchenbuffet in den Saal im Altenzentrum St. Anton in Pirmasens gerollt. Dort warten schon Bewohner, Besucher und Angehörige und begrüßen sich. Etliche kennen sich seit vielen Jahren. Einige wissen nicht mehr, dass sie sich schon seit vielen Jahren kennen. Sie vergessen es immer wieder. Weil sie an Demenz erkrankt sind. Aber was immer da ist, was bleibt, das ist das gute Gefühl. Jeder im Raum spürt, dass er von netten Menschen umgeben ist, jeder hat zwei Stunden lang eine gute Zeit.

Es werden Erinnerungen geweckt, die längst verschüttet schienen. An die eigene Jugend, an den ersten Kerwetanz, den Hochzeitstanz, an das Lieblingslied, das in schönen Momenten oft eine wichtige Rolle spielte. Musik und Bewegung sprechen Emotionen an. Bei an Demenz erkrankten Menschen kann so das Wohlbefinden gesteigert werden, können depressive Phasen gelindert werden. Nicht nur für Menschen mit Demenz ist das Tanzcafé wichtig. Es ist auch ein Treffpunkt für Angehörige, die die Krankheit mittragen, die erleben, dass sich ein geliebter Mensch verändert, in seine eigene Welt verschwindet. Der Austausch in entspannter Tanzcafé-Atmosphäre mit anderen, die dieses Schicksal teilen, ist auch für sie eine willkommene und wertvolle Abwechslung.

Roland Mandler steht hinter seinem Instrument. Gleich wird er deutschen Schlager und alte Filmmusik erklingen lassen. Wissend, dass schnell mitgesungen, mitgeschunkelt und getanzt wird. „Heute ist kein normales Tanzcafé“, sagt Sebastian Wagner, der Leiter von St. Anton. Deshalb muss die Musik noch ein paar Minuten warten. Vor 20 Jahren, im Jahre 2005, so erinnert er, fand das erste Tanzcafé Vergissmeinnicht im Seniorenheim statt. Der Einrichtungsleiter hieß damals noch Christoph Prost. Der ist dem Tanzcafé, das er mitintiiert hat, bis heute treu geblieben. Die zweite Initiatorin hat das Jubiläum nicht mehr erleben dürfen. „Ihr Geist schwebt aber hier“, ist sich Wagner sicher. Edda Mertz, die im Sommer verstarb, war beim Jubiläums-Tanzcafé dennoch präsent. In Wort und Bild via Videoaufnahme und in den Gedanken vieler. Mertz sei zu Christoph Prost gekommen und habe ihn gefragt: „Wann starten wir“, erinnerte Wagner. Die Idee, die sie mit dem Tanzcafé verband, sei gewesen, dass Tanz den Körper und die Seele bewegt. An dieser Idee habe sich seit dem Start nichts geändert, verwies Wagner auf den ersten Informationsflyer, in dem es bereits hieß: „Durch die alten Melodien und den beschützenden Rahmen angeregt, können unsere dementen Gäste schlummernde Fähigkeiten reaktivieren, was auch zur Stärkung des Selbstbewusstseins beiträgt“.

Getragen wird das Tanzcafé vom Caritas-Altenzentrum St. Anton und der Pirmasenser Selbsthilfegruppe der Alzheimer Gesellschaft Rheinland-Pfalz. Finanziell wird es unterstützt durch die Werner-Lehr-Seniorenstiftung. Ohne hauptamtliche und ehrenamtliche Mitarbeitende wäre es aber nicht zu stemmen. Ehrenamtliche wie Regine Paulsen aus Gersbach. 78 Jahre ist sie jung. In der Zeitung habe sie mal den Aufruf gelesen, dass ehrenamtliche Helfer gesucht wurden. „Das ist was für mich, habe ich gedacht. Ich mache etwas Sinnvolles und ich tanze gerne, das habe ich im Blut“, verrät sie lachend. Außerdem fühle sie sich beim Tanzen jünger. Die Tanzcafé-Besucher haben in ihr eine versierte und begeisterte Tanzpartnerin. Sie fordert auf, sie wird aufgefordert. Tanzen trägt dazu bei, die Beweglichkeit und die Koordination aufrecht zu erhalten und zu verbessern. „Vor allem aber macht es Spaß“, sagt Regine Paulsen.

Den Spaß hat auch Christa Kästner, die ebenfalls ehrenamtlich im Tanzcafé aktiv ist. Die 82-jährige Lembergerin hat sich bereits vor dem Tanzcafé im Seniorenheim ehrenamtlich engagiert. „Es bereitet mir Freude, hier dabei zu sein. Es ist schon ein monatlicher Höhepunkt“, sagt sie, während sie zunächst hilft, Kuchen zu verteilen. Schon der Anblick der süßen Versuchungen – die Kalorien werden beim Tanzen wieder abtrainiert – sorgt für ein Lächeln in vielen Gesichtern. Diese glücklichen Gesichter zu sehen, das ist für Christa Kästner immer eine tolle Sache. Das gebe ihr immer wieder Kraft, verrät sie und es halte sie fit und jung. 

Kaffee, Kuchen, kleine Gespräche. Dann ist es soweit. Roland Mandler spielt und singt Hits aus früheren Zeiten. Bei Liedern wie griechischer Wein, die kleine Kneipe oder roten Lippen, die man küssen soll, hält es nur noch wenige auf ihrem Platz. Die Tanzfläche in der Saalmitte füllt sich schnell. Wer sitzen bleibt, schunkelt und singt mit. Zum Jubiläum gibt es Luftballontiere und -herzen. Und das, was seit 20 Jahren das Tanzcafé Vergissmeinnicht auszeichnet: Glückliche Menschen und strahlende Gesichter.

Text und Fotos: Andrea Daum für den Caritasverband für die Diözese Speyer