Donnerstag, 25. Dezember 2025

„Unbändige Liebe zum Menschen“

Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann predigt an Weihnachten 2025 im Dom © Klaus Landry 

Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann predigte zum Weihnachtsfest im vollbesetzten Dom

Speyer. Am Weihnachtstag, dem 25. Dezember, feierte Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann im voll besetzten Speyerer Dom ein Pontifikalamt. Der Mädchenchor, die Domsingknaben und die Dombläser gestalteten den Gottesdienst unter der Leitung von Domkantor Joachim Weller gemeinsam mit Domorganist Markus Eichenlaub musikalisch.

Zu Beginn seiner Predigt stellte Bischof Wiesemann die Frage, wie man den Menschen trotz aller Gewalt und Ungeheuerlichkeiten, zu denen er fähig sei, lieben könne. Er verwies auf ein TV-Interview, das der muslimische Islamwissenschaftler Ahmad Milad Karimi mit dem Sänger Michael Patrick Kelly geführt hatte. Karimi fragte dort Kelly: „Hat das etwas mit ihrem Glauben zu tun, mit dem Glauben, dass Gott Mensch geworden ist in der Gestalt von Jesus von Nazareth und dieses Bild sich bei Ihnen so eingeprägt hat, dass sie an ihm die Menschheit gänzlich lieben?“ Wiesemann bezeichnete diese Frage als Weihnachtsfrage schlechthin.

Bischof Wiesemann: „Kann Weihnachten eine solche Kraft im Menschen entfalten?"

Der Bischof erinnerte an Karimis eigene Biografie als Flüchtlingskind, der „mit der ganzen Brutalität des Lebens konfrontiert“ gewesen sei, und daran, dass Karimi angesichts der Grausamkeiten der Welt – etwa mit Blick auf „die Kinder von Gaza“ oder „die nach Russland verschleppten ukrainischen Kinder“ – zuspitze: „Es ist doch auch etwas Ungeheuerliches, ein Mensch zu sein.“ Dem stellte Bischof Wiesemann die Frage entgegen: „Kann Weihnachten eine solche Kraft im Menschen entfalten, trotz aller Ungeheuerlichkeiten, zu denen sich der Mensch als fähig erweist, dennoch dem Leben zu vertrauen und an die Menschheit, ihre Zukunft zu glauben?“

Weihnachten, so Wiesemann, kehre die klassische Gottesanklage um. Aus der Frage, warum Gott Leid zulasse, werde die Frage: „Wie kannst du, Gott, angesichts der Ungeheuerlichkeiten des Menschen noch an den Menschen glauben?“ Karimi sei von dieser „tiefgreifenden Logik des christlichen Glaubens sichtlich berührt“, könne aber angesichts dessen, was er an Brutalität erlebt habe, keinen Gott annehmen, „der so sehr an den Menschen glaubt, so sehr den Menschen liebt, dass er selbst Mensch wird und sich wehrlos, wie ein Kind den Menschen ausliefert“.

Dem stellte der Bischof die Erfahrungen Michael Patrick Kellys gegenüber. Dieser bekenne: „Man muss nicht perfekt und gerecht sein, um geliebt zu sein.“ Kelly erzähle von eigenen Zweifeln, Schuld und Schwäche – und davon, dass ihn gerade dies an Jesus anziehe: „Er nimmt auch die menschliche Schwäche an.“ Wiesemann griff besonders Kellys Satz auf, der für ihn eine Weihnachtsbotschaft in sich trage: „Dass ich trotzdem geliebt werde, das ist, was mir Hoffnung gibt.“

Bischof Wiesemann: „Das ist wahre Stärke“ – Weihnachtsbotschaft zu Demokratie, Menschenwürde und Verantwortung

Mit Blick auf aktuelle politische und gesellschaftliche Entwicklungen warnte Wiesemann vor der „brutalen Inszenierung von Stärke und gottgleicher Unverwundbarkeit“ und der wachsenden Anziehung autokratischer Systeme. Der Weg der Zukunft sei nicht der der Gewalt, sondern den Weg des Dialogs, der Versöhnung und der Gewaltlosigkeit. Christliche Feindesliebe bedeute in keiner Weise, sich dem Aggressor zu unterwerfen. „Im Gegenteil, sie trägt ihren wehrhaften Stolz gerade darin, sich nicht seinen Hass und seine Gewalt aufzwingen zu lassen und nicht selbst zu einem gewalttätigen Menschen zu werden.“

Wahre Stärke, so der Bischof, beginne an Weihnachten. Gott selbst gehe diesen Weg, „indem er Mensch wird“. Daraus erwachse Verantwortung für Demokratie, Menschenwürde und Solidarität. Eine solche Gesellschaft lebe davon, „dass darin auch die Schwachen, Verwundeten und Ausgegrenzten eine Stimme haben“.

Bischof Wiesemann erinnerte in seiner Predigt daran, dass „unsere Demokratiegeschichte uns die längste Friedenszeit der ganzen jüngeren Menschheitsgeschichte beschert“ habe. Darauf dürfe man stolz sein, so Wiesemann, insbesondere auf das, „was wir mit der Geduld europäischer Aussöhnung selbst von Erzfeinden, mit der Mühsal demokratischer Entscheidungswege und gemeinsamen Aufbaus geschafft haben“.

Der Speyerer Bischof beschrieb diesen Weg als anspruchsvoll und fordernd. „Das ist anstrengend“, sagte er, und es brauche dafür „eine unbändige Liebe zum Menschen“, „einen unerschütterlichen Glauben an die Möglichkeit einer guten Zukunft für alle“ sowie „eine unermüdliche Bereitschaft zum Einsatz für ein gerechtes, solidarisches Miteinander, das keinen willkürlich ausgrenzt“.

Am Ende seiner Predigt verband der Bischof die Weihnachtsbotschaft mit einem klaren Appell. „Ja, wir müssen aufwachen“, mahnte er, und „die humanitäre Vision unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft in Stolz und Würde verteidigen“. Entscheidend sei dabei, dass dies „mit genau den Mitteln“ geschehe, „die unsere Gesellschaft human und unser Miteinander solidarisch machen“.

Zum Abschluss betonte Wiesemann, dass es für diesen Weg eine „unbändige Liebe zum Menschen“ brauche. Diese könne humanistisch begründet sein, doch um sie „in aller Widrigkeit dieser Welt durchzutragen“, brauche es „den Rückenwind Gottes“. Es brauche „das Bild des göttlichen Kindes in unserer Seele“, damit wir „an ihm die Menschheit gänzlich lieben“ können.

Fotos: © Klaus Landry